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Auf dem Rücken des Tigers

Auf dem Rücken des Tigers

Titel: Auf dem Rücken des Tigers
Autoren: Will Berthold
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Sie nickte ihm zu: »Würden Sie Ihre Leute für gute Weihnachtsmänner halten?«
    »Ich kann nichts versprechen, aber ich tu' was ich kann«, erwiderte der Detektiv. »Und wir haben auch nie darüber gesprochen.«
    Eine solche Nachhilfe ging Aglaia doch gegen den Strich. Es wäre gut, sich jetzt vom reinen Wasser des hoteleigenen Swimmingpools umspülen zu lassen, doch ihre Anwesenheit in München war nunmehr überflüssig, und sie wollte Erik nicht mehr erzürnen als nötig.
    Sie entschloß sich, sofort zurückzufliegen.
    Am Flugplatz Riem erlebte sie eine Überraschung: Der Pilot war abgeflogen, ohne ihre Erlaubnis einzuholen.
    Aglaia mußte zwei langweilige Stunden am Flugplatz vertrödeln und dann eine Linienmaschine nehmen. Sie würde die Entlassung des Piloten veranlassen.
    Seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr verstand sich Aglaia darauf, Emotionen zu unterdrücken. Damals in der fünften Gymnasialklasse war von ihr der Schulaufsatz einer Mitschülerin, der besser als der ihre beurteilt worden war, im Zorn zerrissen worden. Sie hatte sich vor der Klasse dafür entschuldigen und dann zwei Stunden nachsitzen müssen. Von da an hatte Aglaia dafür gesorgt, niemals mehr im Leben nachsitzen zu müssen, weil sie sich hatte gehenlassen.
    Sie landete pünktlich in Frankfurt und ließ sich sofort in das Konzernhochhaus bringen.
    Sie ging durch die Drehtür, nickte dem Pförtner zu, der sie wie ein Gespenst anstarrte.
    »Gnädige Frau«, versuchte er sie aufzuhalten.
    »Was gibt's?« fragte sie ungeduldig.
    »Ich darf Sie leider nicht mehr in das Haus lassen.«
    »Sind Sie wahnsinnig?«
    »Anordnung von Herrn Schindewolff.«
    »Von wem?« fragte Aglaia und beugte sich vor, um festzustellen, ob der Mann betrunken sei.
    Mehrere Schindewolff-Bedienstete beobachteten die Szene; aus dem Hintergrund kam der Verwaltungsdirektor, verbeugte sich vor Aglaia.
    »Es ist mir wirklich außerordentlich peinlich«, sagte er. »Sie wissen, daß Ihr Herr Gemahl der alleinige Geschäftsführer des Konzerns ist …«
    »Aber ja.«
    »Er hat vor einer Stunde ein Hausverbot gegen Sie erlassen.«
    »Gegen mich?« antwortete Aglaia, spürte die Demütigung, merkte, wie sich ihr Gesicht rötete, wie sich ihre Selbstbeherrschung zersetzte.
    Der Zorn riß sie hin, sie holte aus, schlug dem Mann ins Gesicht und verließ, eine Flüchtende, den Glaspalast.
    »Ich lasse bitten«, sagte Landgerichtsdirektor Dr. Müllner zu seiner Vorzimmerdame. Er stand vor dem Fenster, der grußlos Eintretenden den Rücken zuwendend. Er drehte sich, seines Gesichts sicher, wieder um und nickte Jutta, der zweiten und schwierigsten seiner drei Töchter, zu. »Setz dich«, sagte er.
    »Danke.«
    Er betrachtete sie wie eine Angeklagte bei der Vernehmung zur Person.
    »Du siehst nicht gut aus«, stellte er fest. »Allmählich sieht man dir das Leben an, das du führst.«
    »Wie du meinst«, entgegnete Jutta.
    Sie betrachtete den schlanken, großen Mann: Er verbreitete ein Fluidum soignierter Würde, das auf Jutta nicht wirkte, da sie das Aussehen für das beste an ihrem Vater hielt.
    »Was willst du?« fragte der Richter. »Brauchst du Geld?«
    »Geld«, erwiderte Jutta. »Von dir?«
    »Willst du zu uns zurück?«
    »Nie«, entgegnete sie. »Muß ich dir das noch erklären?«
    Die Heizung war abgestellt, der Richter verstand es hervorragend, eine frostige Atmosphäre zu schaffen: im Büro wie im Heim, im Gerichtssaal und auch in der Ehe. Wenn Jutta sich an die Frau ihres Vaters erinnerte, schien es ihr, als wäre ihre Mutter an Unterkühlung gestorben.
    »Du brauchst mir nicht zu erklären, wie du bist«, sagte Dr. Müllner.
    Jutta sah ihn unverwandt an, bemerkend, daß er nervöser war, als er sich gab. Der Richter glättete mit manikürten Händen ein unsichtbares Aktenstück auf seinem Schreibtisch.
    »Du bist wie deine ganze Generation. Ich spreche jetzt nicht von Dankbarkeit. Ihr seid Produkte der Übersättigung. Euch ist es immer zu gut gegangen, darum fehlen euch Zucht und Ordnung.« Er atmete schwer; in seinem Gesicht staute sich das Blut: »Euch fehlt …«
    »… der Krieg«, ergänzte Jutta. »Aber ich bin nicht hier, um mich über deine Weltanschauung zu unterhalten.«
    »Weshalb dann?« Er schoß die Frage wie ein Pfeil ab, aber Jutta brauchte sich keinen Schild vorzuhalten.
    »Ich benötige deine Beziehungen«, antwortete sie. »Den langen Arm, auf den du so stolz bist.«
    »Wozu?«
    »Ein Freund von mir wurde gestern festgenommen und durch richterlichen
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