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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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eine Kloake ist. Der Sepp ist weggezogen. Verkaufen konnte er den Hof nicht, wer wollte schon unter die Flugzeuge ziehen. Angesichts des halb eingefallenen Hauses weiß ich, dass das heute ein Abschied für immer ist. Die wenigen Menschen, die hier noch wohnen, meist ältere, verschanzen sich hinter ihren Toren und Gegensprechanlagen.
    Ich muss an unser Leben hier denken, an die Lammermutter, an den Sepp mit seiner Ziehharmonika, an die Rösser und den Traktor, an den Konzertflügel und an das Versteck des Halbjuden Herbert Enke, der noch ein paarmal mit seinem Amischlitten gekommen war, irgendwann nicht mehr. Jahre später, er war eine Berühmtheit mit seiner Ratesendung geworden, begegnete ich ihm in München auf einer Veranstaltung. Ich sagte, daß ich aus Hausen bin und meine Kindheit auf dem Lammerhof verbracht habe. Er kenne Hausen nicht und auch keinen Lammerhof. Ihr Schwager hat Sie doch dort im Krieg versteckt, sage ich. Er wisse nicht, wovon ich rede, sagte er und ließ mich stehen. Ich war verblüfft. Er konnte das doch nicht verdrängt haben. Es musste wohl so sein, dass er keine jüdischen Wurzeln haben wollte. In der Nazizeit legte er den jüdischen Namen des Vaters ab. Er wollte Journalist werden. Vielleicht wollte er ein guter Nazi sein, und die Frage nach dem Ariernachweis machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Er starb 1984, im selben Jahr wie mein Vater. In einem Nachruf hieß es, er habe im Krieg bei der IG Farben gearbeitet. Ausgerechnet! Der Halbjude bei der IG Farben!
    Einen Pfarrer gibt es in Hausen auch nicht mehr. Ein Militärpfarrer aus der Stadt hält alle vierzehn Tage eine Messe. Der kennt keinen, der predigt ein und dasselbe viermal am Tag in immer einer anderen Kirche. Ein Handlungsreisender in Sachen Gottes Wort mit den Oblaten im Kofferraum. Das Pfarrhaus ist verwaist, nachdem der Antiquitätenhändler, der es einmal gekauft hat, auch vor den Flugzeugen geflohen ist. Die Pferdeliebhaber aus der Stadt, die sich vor zwanzig Jahren hier niedergelassen haben, sind auch verschwunden.
    Ich gehe die Dorfstraße entlang. An mir ziehen die Bilder meiner Kindheit vorbei wie Schwarzweißfotografien. Menschen begegnen mir, die ich nicht kenne. Da ist der Kreitmeierhof, wo der Benno mit seinen zehn Geschwistern aufgewachsen ist. Ich treffe den Benno in seiner Werkstatt, die er in der Scheune eingerichtet hat. Er ist Elektriker, fährt mit einem alten VW-Bus über die Dörfer. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. Seine älteste Tochter hat ihn schon zum Großvater gemacht. Der Hof wird nicht mehr bewirtschaftet. Als der älteste Bruder, Jakob, der unverheiratet war, an Krebs gestorben ist, hat der Benno den Betrieb dichtgemacht, Vieh, Maschinen und Felder verkauft. Jetzt lebt er alleine hier mit seiner Familie. Seine Geschwister sind in alle Welt verstreut. Er musste sie auszahlen. So ist ihm vom Verkauf fast nichts geblieben. Aber er hat hier sein Auskommen. Der Hof sieht aus wie damals, unordentlich, aber auch abenteuerlich. Der Benno sammelt alte Landwirtschaftsgeräte. Sie stehen im Hof und in der Scheune. Eggen, verrostete Pflüge, Häckselmaschinen, alte Motoren, Rechen, Sensen und Dreschflegel hängen an der Hauswand. Ein kleines Museum. Die Sensen, denke ich, hat vielleicht der Veit einmal gedengelt.
    Der Benno ist alt und müde geworden. Es ist nicht eine Begrüßung wie zwischen zwei alten Freunden. Hinter dem Ach-lässt-du-dich-auch-mal-sehen ist ein leiser Vorwurf zu hören. Weggegangen zu sein, den anderen zurückgelassen zu haben, ein anderes, fremdes Leben zu führen, das ist eine Schuld, die wird man nicht los, die steht jetzt zwischen uns wie die Werkbank, hinter der er nicht hervorkommt. Das Gespräch kommt nur langsam in Gang.
    Weißt du noch: unser erster Rausch?
    Freilich.
    Bewusstlos waren wir, und der Veit hat uns gefunden.
    Ja, sagt er, der Veit, der ist auch schon tot. Und das Beste ist – Benno lacht – das Beste ist, er hat nichts vererbt. Was haben sie spekuliert, die Wirtsleute. Gut haben sie es ihm gehen lassen. Das hat er sich gefallen lassen – und hat keinen Pfennig vererbt. Da war es dann aus damit, du kommst in unser Grab. Nichts mehr. Der Burschenverein hat ein Grab gekauft und ein Marterl aufstellen lassen.
    Ja ja, es sind fast alle tot, oder sie sind weggezogen. Hausen stirbt aus. Er sagt das mit einer gewissen Bitterkeit.
    Wer ist noch da von unserem Jahrgang?
    Ich und die Rosa. Die ist wieder da.
    Die Rosa!
    Er erzählt mir ihre Geschichte.
    Nach
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