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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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mir, wäre ich hier alleine. Da müsste ich am Ende noch Gebete in den Himmel schicken vor lauter Angst. Ich zittere und schreie laut, als das Flugzeug vom Boden abhebt. Ich will raus, nein, nein, nicht, ich will raus! Der Veit lächelt, nimmt meine Hand und zeigt zum Flugzeugfenster hinaus, wo man jetzt das immer kleiner werdende München von oben sieht. Da, sagt der Veit, schau, die Stadt, jetzt da, die Autobahn, unsere Autobahn! Das Moos. Der Baggersee jetzt, da, ja schau nur, da, Hausen! Tatsächlich dreht das Flugzeug, als habe man das extra für den Veit und mich bestellt, eine Kurve über Hausen. Wir sehen die Kirche, das Pfarrhaus, das Schulhaus, den Lammerhof, die Hopfenberge der Hallertau, dann dreht das Flugzeug, stetig an Höhe gewinnend, ab in die Wolken. Wie klein das alles dort unten ist, wie die Weihnachtskrippe mit der Scheune, den Schafen den heiligen drei Königen, Maria und Josef, den Hirten und dem Kind. Da sitzt der Veit neben mir, und ich habe gar keine Angst mehr.
    Wie lange fliegen wir bis auf Amerika?, frage ich ihn.
    Zwei, drei Stunden.
    Er schließt die Augen.
    Jetzt schlafen wir, und wenn wir aufwachen, sind wir schon in Amerika, sagt er.
    Ich schließe auch die Augen, lehne den Kopf an die Schulter vom Veit und schlafe ein.
    Da wache ich auf. Ich habe geträumt. Aber was? Ich weiß es nicht mehr genau. Irgendwas vom Veit und einem Flugzeug und von Amerika.

76
    Unser Herr Hochwürden hatte außer seiner Beziehung zu einer Frau aus der Stadt noch eine andere Leidenschaft: Er züchtete Apfelsorten. Der ganze Pfarrgarten war eine Apfelplantage. Es waren die besten Äpfel, die es bei uns gab, seltene Sorten, sogar Äpfel, die der Hochwürden selber gezüchtet hatte, Äpfel, die es bisher gar nicht gegeben hatte, neue Sorten. Sogar im Tagblatt stand ein Bericht über unseren Pfarrgarten, das Apfelparadies, über den geistlichen Pomologen von Hausen, den Apfelforscher. Im Pfarrhaus hingen überall an den Wänden Bilder von Äpfeln. Der Hochwürden hatte alle seine Äpfel gemalt und die Bilder an die Wand gehängt. Jeder Apfel hatte eine Nummer. Auch im Zimmer der Pfarrbibliothek, wo sich die Frauen Liebesromane holten und ich mir immer wieder einen neuen Band Karl May, hingen die Bilder. Sie waren wunderschön, so echt waren die Äpfel gemalt, dass man hineinbeißen mochte. Die schönsten dieser Bilder konnte man später, nach dem Tod des Hochwürden, in einem Buch bestaunen.
    Der Pfarrer malte auch andere Bilder. Bilder von Heiligen malte er und Gebirgslandschaften und Bauern auf dem Feld, bei der Erntearbeit, beim Pflügen und beim Kartoffelklauben. Manchmal malte er sie auf Häuserwände, oben in die Giebeldreiecke hinein. Meiner Mutter gefielen nur die Apfelbilder, die anderen, sagte sie, sind Kitsch. Mir gefielen sie. Besonders gefiel mit der St. Georg in der Kirche im Kampf mit dem Drachen. Der Drache spuckte Feuer aus dem Maul. Später verstand ich, was meiner Mutter nicht gefallen hat. Es waren zeitlose Bilder, sehr gegenständlich, ein archaisches Landleben verherrlichend.
    In der Hitlerzeit hatte der Herr Hochwürden von der Kanzel gegen die Nazis gepredigt. Wäre da nicht der Lechner gewesen, hätte das keinem was ausgemacht. Aber der hat den Pfarrer verpfiffen, und eines Tages, das erzählte mir die Lammermutter, haben sie ihn abgeholt. Wie einen Verbrecher haben sie ihn abgeführt, direkt vom Altar weg, sagte sie, und die Wut stand ihr immer noch im Gesicht. Der Lammervater sagte, er hätte halt das Maul halten sollen wie andere Pfarrer auch, es war eine Dummheit. Das ließ die Lammermutter nicht gelten. So geht man mit einem geistlichen Herrn nicht um, Hitlerei hin oder her, das gehört sich nicht. Der gottverfluchte Lechner, der gottverfluchte, der sich dann wenigstens aufgehängt hat, seine Strafe soll er kriegen im Fegefeuer oder in der Hölle selber!
    Sie haben den Hochwürden nach Dachau gebracht ins Konzentrationslager. Dort hat er weiter Äpfel gezüchtet. Zwischen den Baracken säte er heimlich Apfelkerne, und als es ihm gelang zu fliehen, nahm er die Setzlinge mit. Drei neue Sorten sind so entstanden. Die Sorten standen als kleine Bäumchen im Pfarrgarten. Sie hießen KZ 1, KZ 2 und KZ 3. Der Apfel KZ 3 wurde später Korbiniansapfel genannt, nach dem Vornamen des Herrn Hochwürden.

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    Der Veit und ich sitzen in einem ganz langen Auto. Der Chauffeur ist ein Neger. Man sitzt in dem Auto wie in einem Diwan. Um uns herum sind riesige Rinderherden. Zwischen den Rindern
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