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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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als Unzucht und bei der anderen war der Krieg schuld, der vermaledeite Krieg. Von dem einen wusste man keinen Familiennamen, und der des anderen stand eingemeißelt auf dem Stein. Und die eine war eine Amischicks und die andere Kriegerwitwe.
    Auch die alte Karpfingerin stand da. 1915 war ihr in Frankreich der Mann gefallen, der Josef, und 1916 hatte sie seinen Sohn geboren, den Wendelin, und der stand wie der Josef jetzt auch da oben in goldener Schrift. Das Gold, dachte sie, macht sie mir auch nicht lebendig. Wegen ihr hätte es das Denkmal nicht gebraucht. Ihr Denkmal war das Küchenbuffet, wo die Fotografien der beiden hinter die Glastür gesteckt waren. Der Josef schon ganz vergilbt und blass.
    Ich war neun Jahre alt, stand mit dem Benno und den anderen Kindern da und bestaunte die Uniformen der Feuerwehrleute und des Trachtenvereins und die bunten Fahnen, die sie stolz vor sich hertrugen und dann zum Denkmal hin senkten. Und der Pfarrer war da in vollem Ornat mit den Ministranten und Weihwasser und Weihrauch. Die Weiber sangen mit ihren hohen Stimmen, der Pfarrer betete und hielt eine Rede über den verdammten Krieg, und ein Flugzeug der Amerikaner flog über den Ort, als habe man es bestellt, um ein Zeichen zu geben, wir sind jetzt da, wir, die Befreier, wir sorgen dafür, dass es nie mehr Krieg gibt, dass ihr nie mehr Söhne opfern müsst. Manche schauten fast dankbar zum Himmel. Nachdem das Kriegerdenkmal eingeweiht war, spielte die Blaskapelle der Feuerwehr, dass sie einen Kameraden hatte und man einen besseren nicht finde.
    Dann folgte das Volksfest auf der Pfarrerwiese. Bier floss in Strömen, es wurde gegessen und getrunken, und irgendwann ließen alle mittels Gesang der Freude freien Lauf, den Krieg überlebt zu haben. Noch saßen die Flüchtlinge an Extratischen, von den Bauern etwas argwöhnisch belauert. Noch konnten sich die Einheimischen an das Ziegenmilchtrinken und Knoblauchessen der Zugereisten nicht so recht gewöhnen. Ein paar Jahre später waren sie bereits mit ihnen verwandt und zogen Knoblauch in ihren Bauerngärten.
    Das Kind von der Eisenrieder-Klara war kein Neger. Er hieß Johann und lernte seinen Vater nie kennen. Man sah ihm nicht an, dass er von einem Ami war.

73
    Der Benno und ich kriechen unter den Tischen herum, wo die Betrunkenen Kleingeld verlieren und wir zwischen den geöffneten Schenkeln der Frauen der einen oder anderen männlichen Hand begegnen. Und hier unten stehen die Maßkrüge, von den Trinkern in den Schatten gestellt, damit das Bier kühl bleibt. In dieser von uns gewählten Kriegerdenkmal-Einweihungswelt entdecken wir das, was die Erwachsenen einen Rausch nennen. Immer wieder trinken wir an den mehr oder weniger gefüllten Krügen, die wir nur mit zwei Händen heben können. Es ist der Reiz des Heimlichen, des Verbotenen, der über den bitteren Geschmack hinwegsehen lässt. Das Herz beginnt zu rasen, die Welt wird in Nebel getaucht. Die Schenkel der Frauen, die Hosenbeine der Männer, die baumelnden Füße der Kinder, die suchenden Hunde, der verschrumpelte Pimmel des alten Kranz, den er an den Spazierstock legt, um die Pisse zur Erde zu lassen, die sich entfernenden Stimmen, die Musik, der stahlblaue Himmel, die herunterbrennende Sonne, all das verschwimmt zu einer grauen Masse und endet im Dunkel der Ohnmacht. So muss das Sterben sein.
    Der Benno und ich, so wird am nächsten Tag nicht ohne Vorhaltungen berichtet, seien plötzlich bewusstlos auf der Wiese gelegen. Der Veit habe uns gefunden, als er ein neues Fass Bier holte. Man habe uns dann mit dem Auto des Hochwürden zum Doktor nach Engenbach gefahren, wo man uns den Magen ausgepumpt habe.
    Einen zünftigen Rausch hast du gehabt, sagt der Veit und lacht. Ja ja, da kann man nicht früh genug anfangen damit.
    So verbinde ich mit dem Kriegerdenkmal, das Zeuge ist für achtundvierzigfachen Tod, für großes Leid in fast jeder Bauernfamilie, meinen ersten Rausch. Es wird Jahre dauern, bis ich wieder einen Tropfen Bier trinke.

74
    Als der Veit am Morgen des 3. Juni nicht zur Stallarbeit und danach auch nicht zum Frühstück erschien, ging die Wirtin mit Herzklopfen zu seiner Kammer hinauf. Der Veit, sein Sonntagsanzug, die guten Schuhe und der Brief waren weg. Keiner wusste was, niemandem hatte er was gesagt, keine Nachricht hatte er hinterlassen. Nur die Postlerin hatte ihn angeblich gesehen, in ein Auto, ein riesengroßes Auto habe sie ihn in aller Herrgottsfrüh einsteigen sehen, sagte sie, aber die sagte viel,
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