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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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Wort Notar förmlich heraus, wiederholte es mehrfach, was den Veit gar nicht beeindruckte.
    Nachher hat’s auch Zeit.
    Er mähte weiter.
    Die Postlerin gab auf. Sie sollte später erzählen, dass der Veit gerade so getan hatte, als würde er jede Woche einen Brief bekommen, einen Brief sogar von einem Notar. Dabei könne sie schwören, dass der Veit so lange, wie sie die Postlerin ist, und das sind bald dreißig Jahre, noch nie einen Brief und schon gar nicht von einem Notar bekommen hat.
    Was sollte sie denn jetzt den Leuten sagen, die fragten, was in dem Brief vom Veit drinsteht? Alle fragten sie, die Postlerin. Sie sollte immer alles wissen, wenn sie nichts wusste, hieß es, dann weiß keiner was. Du musst es doch wissen, sagten sie alle, ja, wenn du nichts weißt, wer soll dann was wissen? Wenn es so sein würde, wie sie annahm, dass der Veit sich über den Brief und seinen Inhalt ausschweigen würde, dann konnte sie sich ja was ausdenken, was die Fragenden zufriedenstellen würde. So kam es unter die Leute, dass eine alte Tante vom Veit im Badischen, von wo er daheim war, gestorben war und ihm eine Sach, ein kleines Sacherl, wie die Postlerin sagte, ein Häuserl, ein kleines Stückerl Grund, vermacht hat. Jedenfalls was ganz Kleines, etwas, das kaum der Rede wert war, ganz klein dachte sie sich das, was der Veit geerbt hatte, denn je kleiner es war, desto weniger spielte es eine Rolle, wenn es am Ende vielleicht gar nicht wahr war. Und das von dem geerbten Sacherl habe ihm der Notar jetzt geschrieben, und da wird er dann hingehen, der Veit, wieder heimgehen, die Hausener Wirtsleute verlassen, was ihnen, wie die Postlerin der heimlichen Überzeugung war, recht geschieht, weil sie ihn doch nur ausnützten, den Veit. Als der Veit dann eine Woche später plötzlich verschwunden war, sah sich die Postlerin bestätigt, und sie sagte dann, dass ihr der Veit am Hausacker oben ja den Brief vorgelesen habe, in dem es geheißen habe, dass der Veit wegen einer Erbsache den Notar anrufen soll. Und dass er am nächsten Tag in die Stadt hineintelefoniert habe, berichtete sie, zu dem Notar habe er hintelefoniert, und dass sie aber nicht verstehen hatte können, was er gesagt hatte, weil in dem Moment gerade ihr Mann, der Karl, mit dem Traktor in den Hof gefahren war und dabei ein Huhn zusammengefahren hatte, wobei es draußen so eine Umeinanderschreierei gegeben hatte, dass sie, wie gesagt, den Veit nicht verstehen hatte können, sosehr sie sich auch bemüht hatte, was man ihr zweifellos glaubte. Dass aber von einer Erbschaft die Rede war, so viel habe sie noch mitbekommen, ehe ihr Mann in den Hof gefahren ist.
    Der dreifaltigen Wahrhaftigkeit meines Vaters, des Viehhändlers und des Hochzeitladers war das, was die Postlerin zu wissen vorgab, zu wenig, zu geringfügig, als dass sie sich damit befassen wollten. Einer, ein armer Hund sozusagen, erbt ein kleines Sacherl von einer Tante, was wäre da dran gewesen, um drüber zu reden. Nein, hinter dem Verhalten des Veit, der sich über den Inhalt des Briefes ausschwieg, auf Nachfragen einfach nicht antwortete, sogar so tat, als wisse er gar nichts von einem Brief, steckte eine unerhörte, abenteuerliche Geschichte, dessen waren sich die drei sicher. Sie stellten Spekulationen an und Behauptungen auf, die sie Tatsachen nannten. Und je weniger sie wussten, desto abenteuerlicher und exotischer waren die Details. Irgendwie, woher auch immer, tauchte plötzlich das Stichwort »Amerika« auf. Es wurde eine Geschichte daraus, die bald jeder im Dorf glaubte oder zu glauben mehr als bereit war, schon wegen ihrer Abenteuerlichkeit:
    Veit Kolbs Eltern, Kleinbauern aus dem Badischen, haben gleich nach dem Ersten Weltkrieg ihren Hof verkauft und sind auf Amerika gegangen. Sie hatten einen kleinen Weinberg, sagt mein Vater, nicht bedeutend, schlechte Lage, unrentabel. Den Veit haben sie dagelassen, da das Geld für die Überfahrt nicht gereicht hat. Er kam ins Waisenhaus, sagte der Viehhändler. Na, wie es da zuging, das wusste mein Vater sehr gut, hatte ihm doch sein Sohn ausführlich davon erzählt. Schrecklich. Da war der Veit dann abgehauen, war auf Wanderschaft gegangen und bei den Hausener Wirtsleuten als Knecht gelandet. Drüben, in Amerika, waren die Kolbs mit riesigen Rinderfarmen zu Reichtum gekommen, und jetzt, da die Eltern gestorben waren, wartete ein stattliches Erbteil. Der Notar hatte ein halbes Jahr gebraucht, bis er den Veit gefunden hatte. Weil er ja sozusagen faktisch nicht
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