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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika
Autoren: B Schroeder
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was oft nicht wahr war, nur von ihr erfunden, um was zu erzählen zu haben.
    Der Veit war weg und tauchte auch in den nächsten Tagen nicht auf. Auch an unserem gemeinsamen Geburtstag war er nicht da. Wo ist er?, fragte ich mich.
    Veits Verschwinden verfestigte natürlich die Theorie von der amerikanischen Erbschaft. Wenn man sich auch nicht so recht vorstellen konnte, selbst mein Vater nicht, dass und wie der Veit auf Amerika gegangen sein sollte, um eine Erbschaft anzutreten, so hatte man doch schon gelegentlich von solchen Dingen gehört, und man wollte es einfach schon aus Abenteuerlust glauben. Die Phantasie meines Vaters gönnte dem Veit das Abenteuer.
    Er, der plötzlich von Amerika erzählte, als sei er oft dort gewesen, nährte nun die Geschichte mit allerlei Details. Wenn die Eltern des Veit, wie man hörte, mit Rinderzucht reich geworden seien, dann handelte es sich auf jeden Fall um Chicago. Dort seien die größten Rinderfarmen und die dazugehörigen Schlachthöfe, wo man am Tag Tausende von Tieren schlachte. Chicago, den Namen warf er mehrfach in den Raum, zelebrierte ihn. Chicago, das heiße auch Verruchtheit, Kriminalität, Gangstertum! Da nehme man einem wie dem Veit das Geld, wenn er denn dort eines bekomme, schneller wieder ab, als er es bekommen habe. Es sei schlicht unverantwortlich, den armen, einfachen Kerl da alleine hinfahren zu lassen. Veit, so mein Vater, hätte sich ihm anvertrauen sollen. Er spreche schließlich amerikanisches Englisch, ja, da sei ein Unterschied zwischen englischem Englisch und amerikanischem Englisch. Er hätte den Veit begleiten können, ihm helfen, ihn beraten, ihn vor dem in Chicago todsicheren Zugriff der Gangster bewahren können. Mein Vater beschwor ein tragisches Ende des Veit herauf, denn den Klauen der Chicagoer Gangster entkomme niemand.
    Die Bauern seufzten.
    Die Wirtin sprach von Undankbarkeit. Aber tief in ihr drin war eine Hoffnung auf etwas, was sie schon seit Tagen dachte, was ihr keine Ruhe mehr ließ, sie in den Schlaf verfolgte. Wenn der erbt, der hat doch keinen. Der hat doch nur uns. Und wir sind doch gut zu ihm. Wir können auch noch besser sein zu ihm, es ihm gutgehen lassen. Sie nahm sich vor, wenn der Veit wiederkommt, wie eine Mutter zu ihm zu sein, oder wenigstens wie eine Verwandte. Anders als bisher wollte sie jedenfalls sein oder zu sein versuchen.
    Wenn er überhaupt wiederkommt, dann kommt er so arm wieder, wie er hingegangen ist, sagte mein Vater, der die Gedanken der Wirtin wohl durchschaute.
    Mir soll’s recht sein, seufzte der Wirt, wenn er nur wiederkommt.
    Mein Vater erzählte von Al Capone, einem berühmten Gangster, von Schießereien, von einem Alkoholverbot, um das es Mord und Totschlag gegeben habe. In Chicago, sagte er, schlägt man jemandem die Hand ab, um an dessen Koffer zu kommen, und es werden täglich mehr Menschen auf offener Straße erschossen, als Hausen Einwohner habe. Und von Gangsterbräuten erzählte er auch, genüsslich natürlich. Weiber, sagte er, die so durchtrieben sind, dass schon so mancher Mann sein Vermögen in deren Büchsen versinken hat sehen. Büchse nannte er das, was ihn wohl immer wieder zur Wirtin nach Hetzenbach trieb.
    Der Messmer-Ludwig ging, soweit man sein trunkenes Schwanken als Gehen bezeichnen konnte, die etwa hundert Meter von der Wirtschaft zu seinem Paradies. Der Mond schien, es war nicht so dunkel wie sonst. Mein Gott, dachte der Ludwig, mein Gott, der Seiler. Ob das alles wahr ist, was der erzählt. Wahr ist es vielleicht nicht, aber interessant ist es, was Neues ist es, dachte er. Chicago, Gangster, Tod und Verbrechen! Durchtriebene Weiber mit riesigen Büchsen! Armer Veit. Was es nicht alles gibt auf der Welt, herrgottsakramentnocheinmal! Trotz seines betrunkenen Kopfes ging er nicht gleich ins Bett. Er setzte sich in seine Hollywoodschaukel hinter dem Haus, sah das Meer und hörte es rauschen und träumte von Büchsen und Gangstern, von Schießereien, vom blutüberströmten Körper des Veit, den eine Kugel tödlich getroffen hatte, und von einem Koffer voller Geld. Er öffnete ihn und sah wertloses Geld aus der Inflationszeit, abgewetzte Scheine mit siebenstelligen Wertaufdrucken. Er warf das Geld ins Meer, dessen Wellen es beim Zurückweichen mit sich rissen. Das Meer, in dieser Nacht war es besonders laut und ungestüm. Es hätte ihn bestimmt auf Amerika bringen können.

75
    Jessesmariaundjosef, gut, dass der Veit neben mir sitzt, im Flugzeug auf Amerika. Himmelangst wär es
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