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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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steh viel zu zögerlich auf dem Gas. Der Karrn stirbt mir ab. Schräg mitten in der Kurve. Auf der Stelle erstarre ich. Bin gelähmt. Ich glotze hilflos auf den Kurvenausgang vor mir und ignoriere den todessteil abfallenden Rest der Kurve hinter mir. O Gott, wenn jetzt einer entgegenkommt! – So wie ich da stehe, kommt nicht mal ein Mountainbiker an mir vorbei. Ich kann nicht vorwärts, und zurück schon gleich überhaupt nicht. Wenn die kantigen Kieselsteine unter meinen Reifen nachgeben und der Passat anfängt zu rutschen … hinter mir Gebüsch und dahinter der Abgrund.
    Das war’s. Was mach ich jetzt?!
    Handbremse! Befiehlt jemand in meinem Kopf.
    Also ziehe ich die Handbremse.
    Kupplung!
    »Steh ich eh noch drauf.«
    Zündschlüssel drehen, Motor ruhig anlassen.
    RR-RRR-RR-RR .
    »Ich kann nicht!!«
    Mach die Augen zu und stell dir einen Parkplatz vor. Asphalt und eben.
    Rrrrrr— RRRRROARRRRRRR !!!
    »O Gott!!«
    Nur der Auspuff!
    »Ich weiß, dass das der Auspuff ist, trotzdem darf ich kurz erschrecken, oder?«
    Gas. Handbremse ausklicken, aber voll gezogen lassen.
    »Ooooh, Scheiße, warum tu ich mir das an? Scheißalm!«
    Handbremse zu einem Viertel lösen. Mehr Gas! Keine Rücksicht auf den Motor, der hält das aus. Kupplung kommen lassen, Handbremse halb – mehr GAS , Herrschaftzeiten!!
    Und er fährt. Die Reifen scharren, die Kupplung stinkt wie schmorende Gummischläuche, das Lenkrad macht, was es will, aber er fährt. Danke, Jesus, Madonna und Christophorus. Und ich bleibe auf dem Gas, gnadenlos, auch wenn ich die Straße vor mir nicht sehe. Und auch nicht über die Kuppe, und den Weiderost dahinter nicht. Bitte, Sankt Christophorus, scheuch die Mountainbiker aus der Bahn! Im Halbflug segle ich über die Kuppe und lande auf dem Weiderost. Wumm.
    Danach wird’s eben. Relativ gesehen. Vor der Lauber-Hütte überquere ich den nächsten Weiderost. Krrrawach! Lauber-Hütte links liegen lassen.
    Einmal noch um den Hügel sanft herumgeschlängelt, dann steh ich vor der Alm. Gatter auf, durchfahren, Gatter zu, vor der Hütte parken, Motor aus – uff.
    Überlebt.
    Ich sperre mit zittrigen Fingern die Hütte auf. Drinnen riecht’s immer noch ein bisschen nach Winter. Und nach Ziegenbock.
    »Servus, Pilatus«, sage ich und pflücke die Keller-, Kammer-, WC-, Duschschlüssel vom Schrank. Ich kraule im Vorbeigehen Pilatus’ Ziegenbart, und erst als ich vor der Kammertür steh, schau ich ihn an. »Wehe, du sagst, ich kann nicht Autofahren.«
    Nichts sagt er. Aber was er denkt, sehe ich. Soll er doch. Ich sperr die Kammer auf. Das Bett ist rosarot. Rosarot wie Zuckerwatte. Ein Knallbonbon. Es steht auf losen Holzklötzen. »Hallo, Bett«, lache ich. Und es hüpft ein paar Millimeter in die Höhe vor Freude. Endlich! Wo warst’n du so lang!? Und schon lieg ich drin. Die Matratze biegt sich zu einem U. Kein Mensch kann in so was schlafen. Ich schon, denke ich und hüpfe wieder hinaus wie eine Sprungfeder, um mein Zeug in die Hütte zu schleppen.
    Glücklich stopfe ich meine eigene Matratze in mein rosarotes Bett und meine Klamotten in das rosarote Küchenbüfett, das als Schrankersatz neben dem Bett steht. Und dann schleife ich den Teppich nach draußen, häng ihn über das große Gatter und klopfe mit einem Haselnussstecken den Winterstaub raus.
    Das tut gut!
    Es gibt ein paar Gedanken in meinem Kopf, die hau ich auch mit raus, mit dem Haselnussstecken, wie den alten Staub aus dem Teppich.
    Normal sollte ich werden, hat mein Freund gesagt. Mir ein normales Leben aufbauen, so wie alle. Dann wäre ich ausgelastet. Und hätte nicht mehr diese Gefühlsschwankungen.
    Sssswwsch! Ssssswwsch!
    Wie kommt das, dass alle anderen längst wissen, was gut und normal ist, nur ich nicht? Normal. Wer hat denn festgelegt, was normal ist?
    Sssswwsch! Ssssswwsch!
    Sieht er denn gar nicht, wie ich bin? Ideen, Phantasie, Herzblubbern in allen Farben, Karlson auf dem Dach, ein völlig unerwarteter Sonnenstrahl – kann das denn gar niemand brauchen? Nicht mal der Mann, den ich geheiratet hätte, wenn er mich gefragt hätte? Muss ich erst ein stilvolles Sofa werden? Junges Wohnen.
    Sssswwsch! Ssssswwsch!
    Zeitgemäß. Makellos. Kein Herzblubbern mehr, das stört und Flecken macht.
    Sssswwsch! Ssssswwsch!
    Gedanken, Gedanken. Schöne und schlimme. Und einen jeden dresch ich raus aus dem Teppich, mit einer Staubwolke ... SSSwwschsch! Sie kreisen noch ein paarmal um mich rum, wie Fliegen einen Kuhfladen, und dann, Sssswwsch! Ssssswwsch!
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