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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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Platz zwischen Hausnummer 1 und Hausnummer 2 stehen, umringt von Hühnern und Katzen. Die Luft dampft, der Kies im Hof ist noch nass, und vor dem Gulli hat sich ein Kieshaufen aufgeschoben. Ich habe plötzlich schwammerlweiche Knie.
    »Jaaaa, Griaß di God!« Der Hias. »Jetza host’ a Wetter versamt, mei Liaber!«
    »Griaß di«, sage ich leise.
    Aber er hetzt schon vom Kuhstall zur Werkstatt. Mit einem knapp armlangen Schlüssel kommt er zurück.
    »Oiso. Hüttenschlüssel.« Er hält mir den Schlüssel hin.
    »Danke«, sage ich. Ich möchte noch mehr sagen. Wie glücklich ich bin, auf die Alm zu fahren, und dass ich mein Bestes geben werde und so weiter.
    Aber Hias’ Blick schweift bereits wieder unruhig über den Hof. Zum Traktor. Eingrasen braucht’s und Viecher füttern, denke ich. Der Hias hat keine Zeit. Menschen, die Wichtiges zu tun haben, hält man nicht auf. Ich bin so erzogen. Also gehe ich rückwärts zu meinem Passat und mach schon mal die Fahrertür auf. Ich gehe niemandem mit meinen unwichtigen, meist eh verschiebbaren Angelegenheiten auf die Nerven. Niemals. Auf keinen Fall.
    Aber Hias folgt mir. Jetzt stehen wir beide neben dem Passat. »I kimm sowieso jeden Tog auffe«, sagt er »Wega deLeut.« Ich nicke. Das haben wir besprochen. Meine Aufgabe sind die Viecher und alles, was dazugehört, denn Hias macht die Wirtschaft. Am Sonntag und wenn uns die Gäste die Bude einrennen, muss ich aushelfen. »Oiso.« Hias fasst mich konspirativ ins Auge, nimmt mir den Hüttenschlüssel aus der Hand und hebt ihn demonstrativ hoch.
    »Wenn’s amoi waar, beim Aggregat hint’ is no oaner.« Mit einer Hand in der Luft zeigt er mir, wie genau ich diesen zweiten Schlüssel erreichen könnte. Aufs Aggregat draufsteigen und dann oben rechts auf der Mauer.
    »Schlüssel Numero eins.« Wieder hält er den Schlüssel in die Höhe.
    »Schlüssel Numero zwei.« Schwebegriff übers Aggregat.
    In der Hütte dann, links wenn man vor dem Schrank steht, da wo die Gläser drin sind, d a sind alle anderen Schlüssel. Stall. Millikammerl. WC und Dusche. Meine Kammer. Gaststube. Keller.
    Alles klar.
    Hias atmet tief und erleichtert ein, als hätte sich vor ihm ein großer, unüberwindbarer Berg plötzlich in Luft aufgelöst. Und endgültig drückt er mir den Schlüssel in die Hand.
    »Danke.«
    Ich laufe einmal um meinen Passat herum, um die Hühner hinter den Reifen wegzuscheuchen. Ganz ruhig, denke ich. Ganz ruhig. Du fährst nur auf die Alm, nicht über einen Himalajapass.
    »An Weg woasst’ ja no!«, ruft Hias mir nach, mit einem Fuß schon auf dem Traktortrittbrett. »Do auffe, na links oiche, drunt wieder auffe, Lauber-Hütte, links – Oim.«
    Ich muss orientierungslos aussehen, denn er kommt zurück, und seine Hände malen vor meiner Windschutzscheibe noch einmal groß und deutlich den Weg in die Luft:
    »Auffe. Links, Gana-Wies’n. Lauber Hütte. Links, Alm.«
    »Find ich.«
    »Jaaa, guad dann. … Ha’wee.«
    Hias schwingt sich auf seinen Traktor. RRRR oarrrr.
    Ich starte meinen Passat. RRRRRRROAARRRRRR . Z’fix. Das war ja klar. Auspuff durch, der TÜV rückt in immer weitere Ferne, ich brauche dringend einen Automechaniker.
    Irgendwann.
    Jetzt fahr ich erst mal rauf, auf die Alm.
    Ich war schon in New York, ich bin in einem Segelflugzeug geflogen, und bin auf einem der letzten Pink-Floyd-Konzerte über die Arenabestuhlung nach vorne gesprungen. Aber zum ersten Mal auf die Alm rauffahren – Gänsehaut und Zittern.
    »Auffe, links oiche«, geht noch sehr gut. Kleinere Kontakte zwischen Kies und Ölwanne – und dann, Gott sei Dank, die autobahnähnlich ausgebaute Forststraße, die vom Wanderparkplatz raufkommt. Hier rechts. Meine Bluttemperatur bleibt nur knapp unter kochen. Ich patsche beide Hände ans Seitenfenster und zieh’s nach unten. Luft! Eigentlich läuft’s ja wie geschmiert. Kein Grund, mir Sorgen zu machen, im Gegenteil: Ich fahre, als hätte ich mein Leben lang nix anderes gemacht! »Hollarääidiiiii!«, juble ich, adrenalinberauscht, aus dem Fensterspalt. Und erlebe 40 Sekunden später, wie mich mein Fahrkönnen komplett verlässt.
    Die erste – die einzige Steilkurve – fast 180 Grad. Das Gewitter von vorhin hat eine Rinne schräg über die Fahrbahn gespült. Ich erschrecke. Huuuch, ein Graben! Mitten in der Straße. Ich unterschätze den Anfahrtswinkel, kombiniert mit dem Wendekreis vom Passat. An einen Anfahrtswinkel hab ich von vornherein gar nicht erst gedacht, so schaut’s aus, und ich
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