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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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diesbezüglich nicht so zimperlich. Sie steht im Regen und malmt das nasse Gras in sich hinein wie ein Mähdrescher. Aber auch die Zenzi hat ganz klar keinen Bock, mir zu folgen. Erst recht nicht, wenn ich sie am Glockenband zupfe. Was glaubst’n du eigentlich, wer du bist? – und die schaut mich nicht mal an, wenn sie so mit mir redet.
    »Auf geht’s, Kuh-di, geh’ ma!« Ich gebe nicht auf. Ich hebe meinen Haselnussstecken in die Höhe. Um den Damen die Richtung zu weisen. Vielleicht wissen sie ja nicht, wo’s langgeht? Ja, von wegen. Der Stecken fliegt, von Doras Horn wie ein Mikadospieß über mich drübergeschnippt, den Graben hinunter.
    Okay, denke ich, ich war zu forsch. Und versuch’s noch mal, Dame Dora durch Klopfen an den Hals zu motivieren. Was zur Folge hat, dass ich dem Haselnussstecken hinterherfliege.
    Mühsam krabble ich aus dem rutschigen Graben wieder raus. Das braucht ein bisschen Zeit, und ich verstehe Doras erste Lektion für mich: Ich habe keine Ahnung, wie man eine Kuh von A nach B bewegt. Das ist eine wertvolle Information für jemanden, der einen ganzen Sommer lang genau das als tägliche Aufgabe zu erledigen hat: Rinder von A nach B bewegen.
    Weiterhelfen kann mir diese Information im Moment leider wenig. Ein uraltes Glaubensmuster übernimmt mein Denken und Handeln: Du versagst.
    Panik.
    Bloß nicht versagen. Kühe um jeden Preis in den Stall bringen. Ich weiß zwar nicht, wie, aber am Ende interessiert das Wie sowieso keinen Menschen.
    Eine Kuh reagiert auf Hektik wie ein Fernseher auf einen Blitzeinschlag. Dora ist eine großartige Lehrerin. Wie kann ich nur denken, sie würde mich verständnisvoll anpusten und in alles einwilligen, was ich von ihr wünsche, wenn ich dampfend und keuchend, nasses Laub und Dreck von mir schüttelnd, auf sie zustampfe und schreie: »Hopp jetzt!«
    Ist es nicht verständlich, dass sie den Kopf hochreißt, mich anstiert, als wäre ich ein gemeingefährliches Insekt, und so schnell wie möglich schaut, dass sie von mir wegkommt? An sich wäre ja das genau das gewesen, was ich wollte. Dass sie sich endlich bewegt. Nur nicht steil bergab in den Graben hinunter. Noch weiter weg vom Ziel – dem Stall. »Dora!!!«, schreie ich. Keine Chance. Dora, doppelt schlecht drauf, weil der Regen auf sie einprasselt, trabt davon, wird unsichtbar im Nebel.
    Okay, denke ich. Kühe sind Herdentiere. Wenn ich die Zenzi zum Stall bringe, wird Dora uns folgen. Die Zenzi hat die ganze Zeit über weitergefressen wie in Trance. Die wird einfacher zu überzeugen sein. Denke ich. Aber offensichtlich hat sie mich die ganze Zeit über genau beobachtet. Sie kennt mich jetzt, und meine Taktik. Mampfend lässt sie mich bis auf einen Schritt an sich herankommen. Dann dreht sie sich blitzschnell um, lässt mich stehen und läuft ihrer Freundin nach.
    »Zenziiii!«, brülle ich. Und stehe allein im Regen. So was habe ich überhaupt nicht für möglich gehalten. Ich kenne Kühe nur ruhig dastehend. Angebunden, im Stall.
    Ich hab im Winter auf einen Marathon trainiert, den ich nie gelaufen bin. Aber ich bild mir darauf was ein, offensichtlich, denn ich denke: Ich überhol sie, schneide ihnen den Weg ab und zwinge sie so, zum Stall zu laufen.
    Eine halbe Stunde später. Ich habe vier Prellungen und ein an einem Felsbrocken aufgeschürftes Schienbein. Wir sind mit dieser Technik wieder an unserem Ausgangspunkt – zehn Meter vor dem Regenbaum – angekommen. Schwer atmend und dampfend. Hass im Blick, alle drei.
    Ich denke an die Terrasse vor dem Haus meines Freundes. An die Gartendusche. Den Kaminofen im Wohnzimmer. Die Fußbodenheizung im Bad. Den kleinen, feinen Supermarkt, wo’s herrlich schmeckende Biomilch gibt, die ich nicht vorher aus zwei hinterhältigen Biestern rausmelken muss, wenn ich mir in der Früh einen Kaffee koche. Mit einem gastrotauglichen Espressovollautomaten. In der trockenen, warmen, hellen Designerküche!!
    Da höre ich einen Jeep über den Weiderost scheppern. Dora und Zenzi hören ihn auch. Und auf den Schlag verändert sich ihr Gesichtsausdruck. Der Hass weicht sanfter Entzückung. Und mit freudig erhobenen Köpfen drehen sie sich um und wackeln auf den Stall zu!
    Ich latsche ihnen hinterher. Ich kann nicht mehr so schnell wie sie und treffe fünf Minuten später ein.
    Hias hat ihnen schon ihr Lieblingskraftfutter in den Barren geschüttet und jede an ihrem Platz angekettet. Der Edelstahl-Melkkübel steht neben der glücklich mampfenden Zenzi. Hias bückt sich,
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