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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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lupft sie mit der freien Hand aus dem Brunnen.
    Ich verstecke meine Hände in den Taschen meiner Latzhose. Die von meinem Opa. Die brauche ich, stelle ich fest. Weil sie ein Ort ist, an dem ich sicher bin.
    Mit einem wortlosen, kaum sichtbaren Nicken marschiert Hias voraus zum Millikammerl.
    Ich trotte hinterher. Ich sehe sein Grinsen nicht. Wie auch. Ich denke immer nur: Das war’s. Jetzt hat mein Stündlein geschlagen. Zentrifuge. Ich bin verratzt. Ich kann nach Hause fahren, kapitulieren und hoffen, dass mein Freund mich noch in sein Neubauhaus einziehen lässt.
    Hias steigt über ein paar morsche, letzten Herbst zum Zaunschneiden dort hingeworfene Zaunlatten ins Millikammerl. Kanne, Blechschüssel und Hias bilden eine perfekte Harmonie. Balance in ihrer höchsten Form.
    Ich hingegen hau mir an den losen Brettern mein Schienbein an, sehe den Riss in der Haut und beiß die Zähne zusammen.
    Mit einem tiefen Atemzug versuche ich, Mut zu fassen. Aber die Luft bleibt an meiner dritten Rippe stecken, zu weit oben, um den Mut zu erwischen. Zentrifuge. Ich hab was drüber gelesen, irgendwo. Aber wie genau eine Zentrifuge funktioniert – nein, ich habe keine Ahnung.
    Scheu spähe ich am Türstock vorbei. Millikammerl. Ich sehe eine Plastikwanne mit Wasserschlauch, daneben ein massives Eichenbrett, und daraufgeschraubt sitzt ein schwarz-grünes vorindustrielles Ungetüm, auf dem Hias mit völlig unerschrockenen Handgriffen die Blechschüssel befestigt und aus den unzähligen Einzelteilen zwei schnabelartige Abflüsse dranbaut.
    »Do kimmt der Rahm aussa.« Hias zeigt auf den rechten Schnabel. »Und do d’ Mogermilli.« Linker Schnabel.
    Ich schlucke. Mein Hals tut weh. Ich bemerke etwas Seltsames an mir: Vor den Kühen hab ich keine Angst. Aber vor der Milch.
    Aus dem Rahm soll ich Butter machen – für die Gäste. Was übrig bleibt, ist für den Winter. Und aus der Magermilch soll Quark werden. Den wiederum Amalia, die Bäuerin, in 20 Zentimeter hohe Zebra-Käsekuchen verwandeln wird. Auch für die Gäste. Zebrakuchen wird keiner übrig bleiben, und der Rest Quark wird eingefroren. »Wennst’ magst, konnst kaasen aa’.«, sagt Hias. »Der Keller is guad, und irgendwo homa aa no Kaasbrettl und des ganze Zeug.«
    Käsen.
    Ich bin ja für einen normalen Talhaushalt schon minderbegabt. Pasta mit Gemüse. Rühreier, Obstsalat. Ich komm durch.
    Zentrifuge. Butter. Käse!
    Auf den paar Metern vom Brunnen bis zum Millikammerl, die ich Hias und der Zentrifugenschüssel hinterhergetrottet bin, habe ich gemerkt, dass nichts, was ich bisher in meinem Leben gelernt habe, mir über diesen Sommer helfen wird.
    Für medizinische Notfälle habe ich einen Homöopathie-Pocketatlas dabei. Das war’s dann auch schon.
    Almuntauglich.
    Ich habe keinen versteckten Trumpf. Kein Sicherheitsnetz.
    Während die brauchbaren Teile von mir von einer Panikwelle davongeschwemmt werden, wischt Hias mit einerHand den Staub aus der Blechschüssel, und dann schüttet er die frische Milch hinein. Millipitsch’n über der Schulter. Die Zentrifuge ist hoch. Höher als der Brunnen. Alles klar, denke ich, hier brauchen wir einen zweiten Kran. Schwach lehne ich mich gegen die Wandfliesen. Meine Finger fahren die Fugen entlang. Grüne Algen wachsen darin.
    »Auf der Oim is ned ois so wie im Tal«, sagt Hias und zeigt auf die Fliesenfugen.
    »Ja«, sage ich, und dann zerplatzt das Wort Fliesenfugenalge in der Luft, und ich höre auf zu denken. Hias kurbelt die schweren Schwungscheiben an, schaltet den Elektromotor dazu, und dann stehen wir stumm vor der sausenden Zentrifuge und beobachten, wie links die Magermilch in die Kanne schäumt und rechts dicker Rahm in einen Plastikeimer rinnt.
    »Des is ois koa Zauberei.«
    »Mhm ...«
    Ich bin oft in meinem Leben davongelaufen. Und selten war’s mir so sehr nach Davonlaufen wie da in diesem Millikammerl auf der Ganai-Alm. Aber ich bin nicht davongelaufen. Ich kann jetzt nicht davonlaufen. Ich bin auf der Alm.

Almauftrieb
    Samstag
Um neun bringt der erste Bauer seine Viecher.
    Zuerst hört man ein schweres Brummen hinterm Fichtenholz. Dann rauscht er mit seinem haushohen MB-Trak in einer Staubwolke bis zum Gatter, dreht eine Schleife auf der Wiese, macht eine Punktlandung neben dem Weg und hangelt sich in derselben Sekunde aus dem Führerhaus. 120 Kilo reine Schubkraft, und doch setzt er, einem Poledancer gleich, die Füße so exakt auf den Boden, dass er mit eineinhalb Schritten hinten am Viehanhänger ist.
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