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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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dastehe, ist falsch.
    »Weg von de’ Hinterhaxn«, warnt meine Tante.
    Ich rücke also weiter zum Bauch der Kuh, nehme drei Zitzenbecher des Melkzeugs irgendwie in die linke Hand, den vierten in die rechte und ziele damit auf eine Zitze. Chhr, macht das Vakuum und saugt. Ha! »Jetza, schnell!« Also packe ich den nächsten Zitzenbecher, ziele, das Vakuum machtcchhhrrrrrrrr und pfffpffflllpp – und das Melkzeug liegt im Dreck.
    »Ja, do muasst’ schau’n dass’d koa Luft neilasst«, bestätigt meine Tante.
    Ich klaube das Melkzeug aus dem Dreck, geh damit ins Millikammerl und wasche. Alles, was mit Milch in Berührung kommt, muss klinisch sauber sein. Keine Kolibakterien, keine Streptokokken, keine Schwebeteilchen.
    Und dann versuch ich’s noch mal. Euter sauber rubbeln, eins-zwei-drei-vier Zitzenbecher anstecken. Schnell und zügig. Ein Kalb tut auch nicht ewig rum, bis es eine Zitze findet und saugt. Die Milch ist ja fürs Kalb gedacht. Nicht für den Tetrapak.
    Ohne Kalb keine Milch. Erst nach der Geburt ist die Kuh eine Kuh, und erst dann gibt sie Milch.
    »Vorm ersten Kaibe is a Koim«, erklärt meine Tante und steckt ihre zwei Melkzeuge an die nächsten zwei Kühe. Fllp-fllp-fllp-fllp, fertig.
    Aus dem Kälberlaufstall strecken sich drei neugierige Nasen zu uns rüber. »Mmmmööh.«
    Meine Tante lacht. »Jaa, ihr kriagts aa glei wos.«
    Man melkt eine Kuh ein knappes Jahr lang. Bis das nächste Kalb kommt. Dazwischen hat sie ein paar Wochen Pause. Das nennt man trockenstehen. Zu viel mag ich nicht drüber nachdenken, über das Geschäft mit der Milch und dem Muttersein, und wie viele Kälber geboren werden für all die Plastikbecher im Kühlregal.
    Aber ich hab’s gelernt, das Melken. Und seitdem weiß ich, es ist ein Wunder. Wie viel ein Tier uns Menschen gibt.

    Heute ist Dienstag. Ich räum meine Wohnung aus. Die werd ich nicht mehr brauchen. Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Schwere und leichte, dunkelgraue und hellblaue. Ich bin ein Hin und Her. Meine Therapeutin sagt, ich sollte malnachspüren, ob ich für ein Leben in festen Bahnen geeignet bin.
    Mittwoch, 31. Mai
Meine Katze hab ich bei meiner Mutter gelassen. Beide sind überglücklich, und damit habe ich auf einen Schlag zwei schwere Sorgen weniger. Heute fahre ich auf die Alm.
    Mein Leben passt in einen VW Passat. Inklusive Matratze und Bettdecke. Mein Freund trägt mir die Tüte hinterher, die mein Opa gestern noch vorbeigebracht hat. Da ist eine alte Latzhose drin. Für die Stallarbeit. Ich stopfe sie auf den Rücksitz. »Ja, dann …« Wir lächeln einen Millimeter aneinander vorbei. Er steht vor seinem Haus, ich steh vor meinem Auto. Ein letzter Kuss, ein wehes Ziehen im Herzen, ich werde dich vermissen ... Besuch mich doch bald ... Ja, klar. Mach ich.
    Trotzdem. Unsere Blicke wollen einander nicht loslassen. Als wüssten sie schon etwas, das wir noch nicht wissen. Ich muss die Augen schließen, um die Autotür zumachen zu können. Und dann fahre ich. Meine Reifen rollen von der Kieseinfahrt vor seinem Haus auf den neuen Asphalt der Siedlungsstraße. Dann gleich abbiegen, runter zur Straße in den Ort. Er winkt. Ich lasse die Warnblinker aufleuchten, und dann geb ich Gas.
    Die Sonne blendet mir direkt ins Gesicht. Ich fahre nach Südosten. Bald werd ich die Berge sehen. Es bleibt ziemlich wenig übrig vom Tal, denke ich plötzlich. Im Auto ist nicht genug Luft für meine Lungen. Ich brauch Fahrtwind. Die elektrischen Fensterheber vom Passat sind kaputt. Ich müsste beide Hände wie Saugnäpfe an die Scheiben kleben und sie mit meinem ganzen Gewicht nach unten ziehen. Aber ich kann nicht anhalten. Wenn ich anhalte, kehr ich um, und das wäre ein Riesenfehler. Ich hangle mich also, während der Passat sich auf der Autobahn einfädelt, hinter den Beifahrersitz, denn die hinteren Fenster kann man kurbeln. Fahrtwind von hinten.
    Ich fahre parallel mit 100000 anderen Autos die A8 runter. Und trotzdem fühlt sich’s einzigartig an. Die Fahrt müsste länger dauern. Tagelang. Zwei Stunden sind zu wenig, um aus einer Welt rauszufliegen und in einer anderen zu landen.
    Die Ausfahrt kenne ich schon wie meine eigene. Die Hauptstraße durchs Dorf auch. Die Straße sieht aus wie nach einem Unwetter. Zweige und Blätter liegen auf der Fahrbahn. Vor der Eisdiele hat der Wind den Papierkorb umgeworfen. Langsam fahre ich das Stück den Berg rauf. Den Hüttenschlüssel abholen.
    Hallo, Pony, hallo, Kühe. Ich lasse den Passat an seinem angestammten
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