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Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Auch unter Kuehen gibt es Zicken

Titel: Auch unter Kuehen gibt es Zicken
Autoren: Karin Michalke
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Hochzeitsfoto hängt am besten Platz an der Wand. In Tracht haben sie geheiratet, wunderschön. Ihre Haare ein geflochtener Kranz um ihr strahlendes Gesicht.
    Sie haben drei Mädel und einen Buben. Wir quetschen uns alle nebeneinander auf die Eckbank. Denn dort auf dem Tisch liegt das Fotoalbum. Die Alm, fotografiert in allen Jahreszeiten. Amalias Zeigefinger zeigt auf Nachbarn, Sennerinnen, Jäger, Kühe, Schweine, Puten und Hirsche. Alle Augen folgen ihrem Zeigefinger, alle lauschen ihren Erzählungen. Ab und zu gackert eins der Mädel dazwischen. Und so versinken sie vor meinen Augen in einer anderen Welt. Eine, von der ich keine Ahnung habe. Eine Welt aus Almsommern. Irgendwie versinke ich sogar mit. Ich kann mir zwar nicht merken, wer wer ist, wer noch lebt oder wer schon tot ist. Und doch sind mir die Gesichter auf den Fotos nicht fremd. Als würde ich sie schon lange, lange Zeit kennen. Alle gehören zur Almgeschichte. Und ich stecke mittendrin.
    »Host’ Schi dabei?«, fragt der Hias, nachdem niemand mehr auch nur ein Brösel Käsekuchen mit Zebramuster essen kann.
    »Ja.« Ski hab ich dabei. Durch Zufall, weil ich gestern eine Skitour gegangen bin und zu faul war, mein Auto auszuräumen.
    »Na werst d’ Hütt’n scho o’schaun wolln.«
    »Ja, wenn das geht?«
    »Geh, die is doch no zuag’schniem«, sagt Amalia.
    Aber Hias winkt ab. Hütt’n o’schaun ist wichtig.
    Auf zwei Meter langen hölzernen Langlauflatten latscht Hias mir voraus durch den Wald. Knietief schlängelt sich seine Spur durch den nachmittagsweichen Sulzschnee. Es ist nicht steil, aber finster. Ich folge ihm schnaufend zwischen den Bäumen durch. Flupp-flupp-flupp federn seine Schritte, wie aufgezogen. Wie macht er das nur, auf solchen Brettern? Ich seh’s schon kommen, beim Runterfahren, wie Hias elegante Telemarkbögen in den Bruchharsch zeichnet und sein Jägerrucksack die Schneebatzen von den Fichtenzweigen bolzt, während ich hinter irgendeinem Baumstamm meine Hightech-Atomics ausgrabe. Bergmensch. Hat er keine vernünftigen Ski oder braucht er keine?
    »Die Tourenski hob i verhoaz’n miass’n«, brummt er mir, rückwärts schauend, zu. Und dann nuschelt er: »Z’ g’fährlich, hot’s g’sogt, d’Frau. Wennst’ Kinder host, werd ois anders ...«
    Dann rutscht er mit einem kräftigen Stockschub unter ein paar dunklen Fichten durch, hinaus auf eine offene, weiß glitzernde Wiese.
    Wow, denke ich, was ist denn das? Ich atme tief ein. Das ganze Licht, dieses Schneeleuchten, der eisblaue Himmel – kann das echt sein?
    »’s Paradies«, brummt Hias.
    »Ah«, sage ich. »Schön.«
    »Do«, – ich blinzle, wohin sein ausgestreckter Bambus-Skistecken zeigt – »Lauber-Hütte.«
    Ein Stück unterhalb, im Waldschatten seh ich den rauchenden Kamin. Die weiß-blaue Fahne, ein Snowmobil und 15 Schlitten vor der Tür. Die Lauber-Hütte muss für Hias ein extrem vermeidenswerter Ort sein. Er zieht einen Eimer voll Luft durch seine Nase und senkt den Blick auf seine Holzski. »Naaa, i sog’s da«, und wir schlagen einen leichten Bogen um das Gasthaus und schieben uns leise über den sanften weißen Hügel vor uns.
    Auf der anderen Seite ist es still. Wir stehen in einem sanften Kessel. Eine kleine Senke, in den Berg gestreichelt. Man sieht, wo unter dem Schnee der Weg verläuft, zwei Kurven an einer Kuppe entlang und dann um ein kleines Fichtenholz herum. Meine Augen saugen das alles auf. Und ohne dass ich etwas gemacht hätte, laufen meine Ski dort hinunter.
    Dann stehen wir vor der Hütte. Eher ein Schneehaufen mit einer weißen Giebelspitze. Eigentlich sieht man nur das Stallgebäude daneben. Als hätte ich das schon hundertmal so gemacht, schnalle ich meine Ski ab und geh auf den zugewehten Türstock zu.
    »So, kennst’ di scho aus«, brummt Hias.
    Er hat Lawinenschaufeln dabei und zwei Flaschen Bier. Wir graben die Tür aus. Und wo wir gleich dabei sind, schrauben wir auch die Wintertür ab. »A so vui werd’s ’etz nimmer schneim.«
    Drinnen ist es dunkel. Vor den Fenstern die meterdicke Schneewechte.
    Ich trete in den Raum voll abgestandener Winterluft, als wäre ich nach langen Jahren endlich zurückgekehrt. Diese Alm, das ist seltsam, erkenne ich von irgendwoher wieder. Aber ich war noch nie hier. Bestimmt nicht. Früher, hör ich einen Gedanken.
    Früher.
    »Griaß di, Hütt’n«, flüstere ich. Manchmal trifft man jemanden zum ersten Mal und denkt: Ach, da bist du!
    Man kennt sich, als hätte man schon ein ganzes Leben
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