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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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irritiert mich mehr als dass es mich ehrt: Wenn sogar ich da mitquatschen darf, um
     Himmels Willen, wie soll es dann eine große Lindenberg-Platte werden? Aber das ist
     seine Methode: Erkundungen in alle Richtungen.
    Lindenberg will, wie immer, alles. Es soll knallen und
     rocken, und natürlich sollen auch Tränen fließen, »Taschenlampe ganz tief rein in
     die Seele«, wie er das nennt. Fatal wäre eine muskulöse Hardrock-Richtung, auch
     nicht richtig wäre ein durchgängig balladeskes Alterswerk. Und ganz furchtbar wäre
     ein halbgares Sammelsurium. Lindenberg sucht und sucht – und gibt, anders als in den
     Jahren zuvor, nicht ungeduldig auf.
    Ein Jahr später ist mit Andreas Herbig endlich der
     Produzent gefunden, der die Angelegenheit respektvoll und doch radikal übernimmt: Er
     möchte Lindenberg wieder so singen und klingen lassen wie auf dessen ersten Platten,
     so sehnsuchtsvoll, so spielerisch, so einzigartig. Ein großer Künstler wie
     Lindenberg muss sich ja genau nicht »weiterentwickeln«, sondern am
     allerbesten zurück, er muss darauf vertrauen, dass seine ganze Erfahrung
     mittlerweile automatisch in seiner Stimme mitschwingt und -scheppert, und drumherum
     bitteschön: reduzieren!»Straße, lässig, schluffig«, brachte
     Produzent Herbig es auf eine Formel, die Lindenberg zu verinnerlichen nicht
     schwerfiel, war sie doch nichts anderes als eine paraphrasierte Udo-Weisheit.
    Herbig hatte vor 20 Jahren schon mal mit Lindenberg
     gearbeitet, der damals 18-jährige Produzent fing gerade an, und Lindenberg begann
     gewissermaßen gerade aufzuhören, alle folgenden Platten misslangen auf die eine oder
     andere Weise. Und von Sommer bis Winter 2007 hat Herbig nun geduldig und visionär
     Lindenbergs Stärken freigelegt, ihn vieles wegzulassen ermutigt, hat ihm, wo es
     nottat, unnachgiebig widersprochen. Hervorragende, undogmatische junge Musiker hat
     Herbig für diese Platte zusammengesucht, und vor allem hat er Lindenberg geholfen,
     aus dem Material-Wust die eine, große, absolut moderne, dabei vollkommen zeitlose
     Comeback-Platte zu destillieren. Und so konnte Lindenberg sich aufs Singen
     konzentrieren, darauf, endlich wieder der beste deutsche songsingende
     Geschichtenerzähler zu sein.
    5. Mein Ding
    Guckte hoch aufs weiße Schloss
    Oder malochen bei Blohm & Voss
    Nee, irgendwie, das war doch klar
    Irgendwann, da wohn’ ich da
    Einer seiner knappsten Merkreime lautet: »Udo L. / wohnt
     im Hotel«. Im »Atlantic« wohnt Lindenberg seit mittlerweile zwölfeinhalb Jahren, und
     dass ein solcher Dauergast sich seine Suite nach und nach bedürfnisgerecht
     umgestaltet und dekoriert, ist logisch. Lindenbergs besondere Wohnleistung ist daher
     außerhalb seiner drei ineinanderübergehenden Zimmer zu bestaunen: In den Fluren und
     in der Bar des Hotels hängen seine mit Likör, Acryl und Edding gemalten Bilder, die
     interessant kontrastieren mit dem übrigen, traditionellen Gemäldeschrott; das
     hauseigene Kino »LiLi« (Lindenberg-Lichtspiele) mit acht Sitzplätzen wäreohne seine Initiative nicht eingerichtet worden; aus der
     Getränkekarte der Bar lachen einem Lindenberg-Zeichnungen entgegen; Barpianist Frank
     Linkus hat so lange die Melodie von »You’re a lady« geübt, bis er sie für die
     B-Seite von Lindenbergs neuer Single einspielen durfte: »Bist ’ne Frau und ich ’n
     Mann«; in der Hotelgarage steht der letzte in Zwickau vom Band gerollte Trabant, von
     Lindenberg mit Goldspray veredelt. Noch erstaunlicher ist, dass Lindenberg es
     geschafft hat, Personal und Hausordnung mit seiner Lässigkeit zu infizieren.
     »Irgendwie / mal sehen / keine Panik / ganz easy«, so der bei allem Tun (und
     Lassen!) mitschwingende Hauston. Hier geht alles, und manchmal klappt gar nichts.
     Zuhausiger kann ein Hotel nicht sein.
    Aus kleinem Haus, aus einem wirklich ziemlich kleinen Haus
     in der Gartenstraße Nummer 3 in Gronau, Westfalen, hat Lindenberg sich in den 60er
     Jahren nach Hamburg aufgemacht, er wollte Popstar werden und im Hotel wohnen. Das
     hat soweit ganz gut geklappt.
    In seinem Wohnzimmer steht ein E-Piano, der Herstellername
     klingt wie von Lindenberg erdacht: Kurzweil. »Stevie Wonder hat dasselbe«, sagt
     Lindenberg, während er die schwer auseinanderzuhaltenden Fernbedienungen für sein
     umfangreiches Unterhaltungselektronikmobiliar durchprobiert, bis er die richtige
     gefunden hat, um mal einen Blick zu werfen auf Kurt Becks
     Beschwichtigungsverrenkungen bei
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