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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Gesagten oder Geschriebenen liegt als in dessen Inhalt. Mit einfacheren Worten
     gesagt: Auf das wie kommt es an. Diese Ansicht ist in unserem Land nach wie
     vor nicht populär, weil undeutsch. Umso erfreulicher ist es, in diesem Buch das
     wiederzufinden, was bei der Lektüre von Alfred Kerr, Karl Kraus, Kurt Tucholsky und
     anderen genuin deutschen Literaten so beeindruckt und gut getan hat: Die Vermeidung
     von Pathos, dieses Fast-Foods fürs Gemüt, keine Spur ist hier zu finden von
     feierlicher Ergriffenheit und leidenschaftlich-bewegtem Ausdruck.
    Die Beherrschung der Sprache, ohne sie zu vergewaltigen,
     sie einem Ziel, aber nicht einem Zweck dienlich zu machen, das ist eben nicht mehr
     (nur) Journalismus. Nehmen wir einmal an, es handelte sich bei dem vorliegenden Werk
     nicht um sogenannte Reportagen, sondern um fiktive, mehr oder minder erfundene
     Geschichten. Man würde sagen… tja, was würde man wohl sagen?
    Soll ich Ihnen was sagen? Etwas, was nur ich weiß? Alles
     in diesem Buch ist erfunden. Ich bin mit dem Autor sehr gut befreundet. Ich war
     dabei. Alles ist reine Fiktion. Ein Beispiel: Der Autor wollte eine Szene über eine
     Diskussion mit einem älteren deutschen Literaturnobelpreisträger schreiben. Er
     suchte einen Namen für den greisen Dichter. Der Name sollte authentisch wirken. Also
     nannte er ihn einfach Günter Grass. Genial.
    Und so ist es im ganzen Buch: Sollte in der Geschichte ein
     Schauspieler vorkommen, so hieß dieser einfach Til Schweiger oder Tom
     Cruise. Wenn es sich um eine deutsche Kanzlerin handelte, dann erfand der
     Autor für sie den geradezu absurden, aber auf eigentümliche Weise treffenden
     Namen Angela Merkel. Ganz wunderbare, griffige, bildhafte Namen tragen die
     Figuren dieser Geschichten: Sänger heißen Lindenberg, Friseure Walz und
     Minister Steinmeier oder gar Westerwelle . Allein die Namensgebung
     ist ein onomatopoetisches Meisterwerk.
    Über die sozioklimatischen Bedingungen, unter denen Humor und
     Ironie in der literarischen Reportage gedeihen, will ich mich hier nicht näher
     auslassen, obwohl sie zu meinen Lieblingsthemen gehören. Da ich stundenlang darüber
     reden könnte, tue ich es nicht. Ich lese lieber ein Buch wie dieses.

    Helmut Dietl

[ Inhalt ]
    Jahresvorausblick
    Sabine Christiansen lutscht einen Pfefferminzbonbon und erklärt kurz, was sie heute vorhat: Ein positiver Ausblick auf das just begonnene Jahr soll es werden, mit Stars und auch ganz normalen Menschen. In der Garderobe warten Wolfgang Joop, Fiona Swarovski, Reinhold Messner, Mika Häkkinen, Oliver Bierhoff und noch viele, viele andere ähnlich normale Gäste; die Kanzlerin wird zugeschaltet.
    »Sabine Christiansen – Mein 2008« heißt die Sendung, und deshalb sagt die Moderatorin auch schnell noch was ganz Persönliches: Für sie gehe es in diesem Jahr vor allem um »Entschleunigung«. Etwas atemlos schluckt sie den Bonbonrest runter, gleich beginnt die Sendung. Im Studio verhindert währenddessen der umsichtige Jörg Kachelmann möglicherweise einen Eklat, auf dem Platzschild seines Sitznachbarn Henning Mankell fehlt nämlich ein »l«, »Mankel« steht da. Die darüber von Kachelmann informierte Christiansen-Mitarbeiterin malt den fehlenden Buchstaben geschwind dazu, da kommt der von vielen Menschen gern gelesene Autor auch schon, nimmt Platz, und wer weiß denn schließlich, wie empfindlich der vielleicht ist?
    Dann geht es los und dauert vor allem wahnsinnig lang. Es wird allerlei besprochen, es wird gewarnt, gelobt, geworben und gelabert, und wem schon bei Christiansens einstigem Sonntagabendplausch die Gästezahl immer etwas zu großzügig bemessen schien, der wird vom Sofa aus diese Sendung (oder sagt man da schon »Show«?) endgültig als babylonische Zumutung empfinden. Knapp 50 Gäste in 90 Minuten zu befragen, hat Sabine Christiansen sich vorgenommen. So richtig entschleunigt geht das natürlich nicht. Politiker, Sportler, Schauspieler, Unternehmer – oder, mal so herum, wer war eigentlich nicht eingeladen? Behinderte, Kinder und Tiere kommen auch vor. Alles kommt vor, denn – so Christiansen –»das Jahr ist bunt«. Der Fernsehzuschauer erfährt, dass es im neuen Jahr Wetter geben wird, Wahlen, Konzerte, Filme und eine Fußball-Europameisterschaft. Natürlich auch Probleme, aber wir können es schaffen. Wenn sich alle ein bisschen anstrengen!
    Brisant auch, was Meinungsforscher im Auftrage Christiansens herausgefunden haben, nämlich zum Beispiel, dass
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