Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
Vom Netzwerk:
Beckmann. Am Vorabend stand ebendieser Beck
     plötzlich unten in der Hotellobby und redete irgendwas auf Lindenberg ein. Das eben
     mag Lindenberg so am Hotelleben, dass durch die Drehtür ständig Überraschungen
     hereingestolpert kommen, mit denen man schnell ins Gespräch, vor allem aber auch
     unkompliziert wieder aus einem solchen heraus kommt. Beck hatte ihn im Januar 2007
     mit der »Carl-Zuckmayer-Medaille des Landes Rheinland-Pfalz« ausgezeichnet, und
     Becks Redenschreiber hatte sich anlässlich der Medaillenverleihung Sätze wie diesen
     für den Ministerpräsidenten ausgedacht: »Was mir persönlich besonders imponiert,
     lieber Udo Lindenberg, sind Ihre Texte, die politisch engagiert sind.«
    Auf Lindenbergs Plasmabildschirm laviert Beck nun herum, nein, es
     war kein Wortbruch, es war eine Richtung, die neu eingeschlagen wurde … kein
     Wählerbetrug, sondern die Auseinandersetzung mit einer Situation, wie sie sich neu
     ergeben hat … in unserer Aufregungsgesellschaft …
    Langweilig, der Typ, findet Lindenberg, »und vor allem –
     die Sprache!«
    Unterstützt von einem Hotelangestellten sucht er jetzt,
     viel wichtiger, die Kappe eines besonders dicken Eddingstifts, irgendwo muss die
     doch sein – unterm Sofa? Lindenberg wird nachts noch ein paar Bilder malen. »Und,
     sag mal, hat einer von euch zufällig meinen Führerschein gesehen?«
    Ein Schild auf der Kommode mahnt: »Lebe immer First Class,
     sonst tun’s Deine Erben!«
    6. Stark wie zwei
    Der Fährmann setzt dich über’n Fluss rüber
    Ich spür’ deine Kraft, geht voll auf mich
     über
    Und auf einmal, aus vollem Lauf, ist man einer weniger: Am
     1. Februar 2004 erlag urplötzlich Rocco Klein den Folgen eines Sturzes. Viele
     kannten ihn als klugen, lustigen Nachrichtenmann aus dem Musikfernsehen. Obendrein
     war er einer der treuesten, textsichersten und missionarischsten Lindenberg-Verehrer
     überhaupt. Alle paar Wochen legte er in einer Kölner Kaschemme seine
     Lieblingsplatten auf, und jedes Mal rief er dann tiefnachts an und meldete: »Bruder,
     jetzt ist Udo-Zeit – ich leg die ›Ball Pompös‹ auf und lass sie ganz durchlaufen,
     okay?« Und dann sangen wir gemeinsam am Telefon laut mit, im Hintergrund waren hin
     und wieder Beschwerden zu hören von irgendwelchen Kölnern, die was anderes hören
     wollten – aber da waren sie an den Falschen geraten, lieber legte Rocco noch eine
     Lindenberg-Platte auf, weniger, um die Nörgelkölner zu ärgern, mehr, um sich und mir
     eine Freude zu machen. Damit war es nun vorbei.
    Ich saß bedröppelt in der »Panik-Zentrale«, und Lindenberg riet,
     ich solle es auf jeden Fall so sehen, Rocco sei »nicht von uns gegangen – er
     ist vor uns gegangen«. Wir kämen ja irgendwann hinterher, und Rocco würde
     dann mit all den anderen, die man hienieden überlebt hat, auf uns warten.
    Lindenberg hat viele Sprüche auf Lager, und es ist gewiss
     naturellbedingt, ob einem der eine oder andere davon als Wegweiser taugt. Aber so
     wie er guckte, als er das sagte (ohne Sonnenbrille natürlich, ganz wach und warm
     blinzelte er mir zu), half es mir ein paar Meter weiter.
    Im September 2006 starb dann Udos Bruder Erich Lindenberg.
     Wie so häufig in Formulierungsnöten, griff ich in die lindenberglyrische
     Hausapotheke, in der für jede emotionale Kippelsituation ein paar Haltegriffe zu
     finden sind, und dann tippte ich ihm ein paar Trostzeilen aus seinem eigenen Werk
     rüber. Mich haben sie oft gestützt, und ihn selbst doch vielleicht auch?
    7. Der Deal
    Vergiss nie, wir haben einen Deal
    Ich lieb’ dich nur ein bisschen, aber nicht zu
     viel
    Im Herbst 2005 ritt mich mal wieder irgendein Teufel,
     beziehungsweise ich ihn, so genau war das nicht zu sagen, jedenfalls stand ich
     plötzlich im Londoner Tonstudio des Grönemeyer-Produzenten Alex Silva und nahm
     gemeinsam mit der Mädchen-Rockband AK4711 eine Coverversion des
     Lindenberg-Klassikers »Øle Pinguin« auf. Die Mädchen droschen auf ihre Instrumente
     ein, und ich sang den Refrain mit, in dem eine meiner liebsten
     Lindenberg-Wortschöpfungen vorkommt:

    Manchmal ist es ’n bisschen kalt
    doch wenn ich frier’
    Dann greif’ ich mir ’ne Eskimöse
    und wärme mich an ihr
    Schön – aber warum dieses Duett? Warum, warum – irgendwie waren wir
     eben darauf gekommen, was weiß denn ich. AK4711 waren bei Grönemeyers Label Grönland
     unter Vertrag, in diesem sehr guten Pinguin-Text von Lindenberg kommt das Wort
    
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher