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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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Faust in der Hosentasche. Einer von ihnen, Minister Glos, scheint die Rollenverteilung wieder ins Traditionelle wenden zu wollen, als er anschließend der Kanzlerin einen Blumenstrauß überreicht – und zwar, so Glos, »zum Valentinstag«.
    Aber zuvor wird noch ins All gewinkt, es ist jetzt alles (und natürlich: nichts) gesagt, Merkel dankt höflich »Houston« für die ihr zugestandene Gesprächszeit, gerade so, als habe sie sich kurz mal für ein Ferngespräch das Telefon eines Fremden geliehen. Die Astronauten winken ebenfalls, dann erheben sie sich von ihren Plätzen – und schweben kreuz und quer durchs Bild. Ach ja, Schwerelosigkeit!
    Hier unten bleibt es erdverhaftet, Angela Merkel redet noch ein bisschen über der Raumfahrt zu verdankende Innovations-Spaltprodukte »von CD-Spieler bis Teflonpfanne« – und sogar kurz, witzeshalber, über Peter Struck. Die Erde hat sie wieder.

[ Inhalt ]
    Udo Lindenbergs Comeback
    1. Ich zieh meinen Hut
    Mann, ich hab mich selber fast verlor’n
    Doch so’n Hero stürzt ab, steht auf, startet von
     vorn
    Und dann nimmt er den Hut ab. Udo Lindenberg steht im
     Hutgeschäft Falkenhagen, in der Nähe des Hamburger Rathauses, hat in der rechten
     Hand eine Schirmmütze, die er sich aufsetzt, noch während er mit der linken Hand
     seinen braunen Hut absetzt; beides geschieht in einer Bewegung, so schnell kann man
     gar nicht gucken, dass man ihn auch nur einen Moment ohne Kopfbedeckung sähe.
     Freundlich nuschelnd bittet er die Verkäuferin, die ramponierte Krempe des braunen
     Huts ein wenig aufzubügeln. Er ist Stammkunde hier, besitzt etwa 15 Hüte desselben
     Fabrikats.
    1980 hat Lindenberg in dem Geschäft Worth & Worth,
     an der Madison Avenue in New York, sein Hut-Modell gefunden, »Open Road« hieß es.
     Nicht nur der Name gefiel ihm, vor allem auch die Form, »nicht so ganz Cowboy, nicht
     so ganz Detektiv – irgendwie so dazwischen«. Bald war er in der Öffentlichkeit nicht
     mehr ohne Hut zu sehen, darunter gucken bis heute lange Haare hervor, und wie die
     Frisur oben, auf dem Kopf, genau weiter geht, ist eines seiner Geheimnisse, doch ist
     Lindenbergs Hut natürlich nicht bloße Tonsurtarnung: Ikonographische Merkmale des
     Udo Lindenberg sind Hut und Sonnenbrille, zwei Tarnutensilien, die durch
     konsequenten Gebrauch zum genauen Gegenteil wurden, niemand würde sich wundern, wenn
     sie in seinem Ausweis unter »unveränderliche Kennzeichen« aufgeführt wären. Die
     Hüte, die der Sänger bei Falkenhagen kauft, werden in einer Manufaktur im Allgäu
     hergestellt, in einem Ort namens, wirklich wahr, Lindenberg. »Ist Zufall, aber
     witzig, ne?«

    »So, Udo, jetzt sieht er wieder frisch aus«, sagt die Verkäuferin,
     als sie mit dem renovierten Hut aus dem Hinterzimmer kommt. Das Schauspiel
     wiederholt sich in umgekehrter Reihenfolge, Lindenberg tauscht die Mütze nun wieder
     gegen den Hut, blitzschnell. Er bedankt sich, sagt, dass viel los sei momentan,
     »neue Platte am Start, viel Action«, und mit gebügeltem Hut geht er hinaus, sein
     Comeback genießen: In wenigen Tagen erscheint die beste neue Lindenberg-Platte seit
     über 20 Jahren.
    2. Wenn du durchhängst
    Wie viel Jahre sind wir jetzt
    Schon durch diese Welt gefetzt
    Vor einigen Jahren war ich etwas vom Weg abgekommen,
     verwirrt, zerzaust, außer mir. Und wo findet der denkende, lesende, schreibende
     Mensch Trost? In der Literatur doch wohl! Also hörte ich eine Weile lang nahezu
     ausschließlich die großen alten Lebenserklär-Klassiker Lindenbergs, die mir schon
     als Kind den Weg gewiesen hatten, all diese ewig wahren Geschichten von Ausbruch,
     Aufbruch, Neubeginn. In diesen Texten fand ich Rat, fand ich alles, vielleicht sogar
     mich selbst.
    Ich fuhr nach Hamburg, bat um einen Termin in der
     »Panik-Zentrale«, Lindenbergs Refugium im Hotel »Atlantic«. Und dann saßen wir da,
     tranken »ein Teechen«, und ich sagte auswendig etwa 30 meiner
     Lieblings-Lindenberg-Texte auf. Lindenberg nahm die Sonnenbrille ab, guckte
     belustigt bis gerührt, zeigte mir eine leere Voliere neben seinem Bett und sprach:
     »Wir haben doch alle mal ab und zu einen Vogel.« Dann schickte er mich erstmal zum
     »Panik-Doktor«, seinem Leibarzt, der sich gut auskennt mit am Rande des
     Betäubungsmittelgesetzes Strauchelnden. Ich berappelte mich, bezog für ein paar
     Wochen ein kleines Zimmer in der »Atlantic«-Trutzburg, kaufte ein Aufnahmegerät und
     machte mich daran, diesem großen Dichter ein
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