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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Autoren: Mo Hayder
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die verletzlich und deplatziert aussahen, und Nial in einem Anzug mit etwas zu kurzen Hosenbeinen und Ärmeln, aus denen seine Hände baumelten. Er wuchs langsam in sich hinein; Sally hatte gewusst, dass es irgendwann so kommen würde. Die Zeitungen hatten eine Geschichte nach der anderen über ihn gebracht. Nial – der kleine Nial, der unversehens in die Rolle des Helden geraten war – hatte Kelvin zu Pollock’s Farm gelockt, weg von Millie, die er in einem Campingbus versteckt hatte. Dass die Tarotkarte gesagt hatte, Millie werde sterben, war ein Irrtum gewesen. Sie hatte eine Warnung ausgesprochen, eine Warnung vor Kelvin und dem, was kommen würde, aber keine Warnung vor dem Tod. »Ich mache mir keine Sorgen.« Sally lächelte. »Mit Nial wird ihr nichts passieren.«
    »Er ist bis über beide Ohren in sie verliebt«, sagte Steve.
    Zoë lachte. »Er vielleicht in sie, aber was ist mit Millie? Hat es funktioniert? Er ist jetzt ein Held. Ist sie auch in ihn verliebt?«
    »Nein.« Sally seufzte. »Natürlich nicht. Armer Nial.«
    »Nicht?«
    »Nein. Sie mag Peter. Immer schon.«
    Zoë schaute mit schmalen Augen zu Peter hinüber, der in seinem Bus saß und sich den Sicherheitsgurt anlegte. »Diese Platzverschwendung da? Ich konnte ihn nie leiden, vom ersten Augenblick an nicht. Viel zu sehr von sich eingenommen.«
    »Ich weiß. Aber jetzt hat er sich von Sophie getrennt. Man kann nie wissen.« Sally schüttelte den Kopf. »Eines Tages wird Millie zurückschauen und sehen, was ihr mit Nial entgangen ist. Ich hoffe nur, dass es dann nicht zu spät ist.«
    Das meinte sie ernst. Sie war sicher, dass Nial der Richtige für Millie war. Nicht nur wegen seines Heldentums an jenem Abend, sondern auch wegen etwas, das an dem Tag passiert war, als Nial aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Er und Millie waren mit ernsten Gesichtern zu Sally gekommen und hatten ihr eine andere Version der Ereignisse auf Pollock’s Farm geschildert. Noch jetzt ging ihr diese neue Version im Kopf herum, und sie versuchte zu entscheiden, wo sie sie unterbringen, was sie davon halten und ob sie den beiden böse sein sollte. Sie hatten ihr erzählt, dass Millie, als sie am Abend vorher aus der Schule gekommen war, schreckliche Angst vor dem gehabt habe, was Sally vielleicht tun würde, und sie habe befürchtet, sie werde Kelvin zur Rede stellen. Beide wussten, wozu der Mann imstande war, und deshalb hatte Nial die Initiative ergriffen.
    Kelvin hatte Millie überhaupt nicht zu Pollock’s Farm verfolgt – im Gegenteil. Nial hatte ihn dort hingelockt; in seiner Heldenfantasie hatte er sich ausgemalt, dass er Kelvin entgegentreten, von Angesicht zu Angesicht mit ihm kämpfen würde wie ein Mann. Millie, behauptete Nial ritterlich, habe davon bis zum letzten Augenblick nichts gewusst. Sie wusste nur, dass Nial zwanzig Minuten, nachdem sie zu Hause angekommen waren, hinausgegangen war, um zu telefonieren. Ein paar Minuten später war er eilig wieder hereingekommen und hatte ihr gesagt, sie solle sich schleunigst im Bus verstecken. Natürlich hatte er das furchtbare Ende nicht voraussehen können, die lange, schwerfällige Jagd, die sie über die Kante des Steilhangs geführt hatte. Er habe das nur getan, weil es ihm und Millie vor allem darum gegangen sei, Sally zu beschützen.
    Sie hatte ihn zweifelnd angelächelt, als er das sagte – geschmeichelt, aber verwundert. Sie fragte sich, warum jemand das Bedürfnis haben sollte, sie zu beschützen. Sie fühlte sich wie eine Löwin, und sie glaubte nicht, dass sie je wieder Schutz brauchen würde. Das Leben, fand sie, war wild und wahnsinnig und wundervoll.
    »Zoë«, sagte sie, »findest du, es ist okay, wenn man aus den richtigen Gründen das Falsche tut?«
    Ihre Schwester legte den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Du lieber Gott! Was glaubst du, was ich dazu sage?«
    »Aber was ist mit dem großen Ganzen?«
    Zoë lächelte, und ihr Blick wanderte zu Bens Wagen hinüber. »Mit dem großen Ganzen?«, wiederholte sie leise. »Oh, das regelt sich am Ende immer selbst.«
    Sally lächelte und wurde rot und schaute hinunter auf Steves Hände, die verschränkt auf ihrem Schoß lagen. Sie dachte an sie drei, an sich und Zoë und Millie. Jede von ihnen war durch ein Geheimnis für alle Zeit an jemanden gebunden. Für Zoë war es Ben, für sie selbst war es Steve. Und das war okay. Das waren die Menschen, an die sie gebunden sein wollten. Aber für Millie …?
    Für Millie würde es irgendwann
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