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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Autoren: Mo Hayder
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passieren. Eines Tages würde sie Nial ansehen und wissen, dass sie den Richtigen gefunden hatte.

3
    Als Zoë eingestiegen war, sah sie gleich, dass Sally recht gehabt hatte: Ben war wirklich schlecht gelaunt. Sein Gesicht war ernst. Wachsam.
    »Was ist?« Sie schnallte sich an und drehte sich wütend zu ihm um. »Weil ich zu seiner Beerdigung gegangen bin? Na, immerhin weiß ich jetzt, warum. Wir wollten Stärke zeigen, keine Feigheit wie er. Ist das eine Sünde?«
    Ben nahm die Sonnenbrille ab und startete den Motor. »Das ist es nicht.« Er warf einen Blick in den Rückspiegel und fuhr aus der Parklücke. »Überhaupt nicht.«
    »Was ist es dann? Herrgott.«
    »Wir müssen miteinander reden. Über das alles.« Mit einer wedelnden Handbewegung deutete er auf die Kirche hinter ihnen. »Irgendwas ist ernstlich schiefgegangen.«
    Zoë starrte ihn an. Sie spürte, dass in ihrer Schläfe etwas pulsierte. »Schiefgegangen?«, fragte sie. »Was heißt schief?«
    »Ich hab mir die Sachen aus Kelvins Haus noch einmal angesehen. Wir haben nicht nur nach einer Verbindung zu Lorne gesucht, sondern wir wollten auch feststellen, ob er etwas mit David Goldrabs Verschwinden zu tun hatte.«
    »Ich weiß.«
    »Es wäre ein so schönes Häkchen auf der Liste unserer Aufklärungsrate.«
    »Habt ihr was gefunden?«
    »Nicht das, was wir erwartet haben. Wir haben etwas gefunden, das alles auf den Kopf stellt.«
    »Was? Was habt ihr denn gefunden? Mein Telefon?«
    »Keine Spur von dir. Nein, wir haben etwas gefunden, das …« Er bewegte den Unterkiefer hin und her. »Etwas, das einfach keinen Sinn ergibt. Ganz egal, wie ich es betrachte.«

4
    Sally stand neben dem Fenster in der Waschküche von Peppercorn Cottage, wusch eine Spitzenbluse und schaute hinauf in den makellos blauen, von Kondensstreifen kreuz und quer durchzogenen Himmel. Die schreckliche Stille, die sich nach Davids Tod um Peppercorn zusammengezogen hatte, war verflogen, und jetzt fühlte es sich an wie ein richtiges Zuhause. Steve war in der Garage und hämmerte ein paar Verschalungsbretter fest, die sich gelockert hatten. Neben der Garage wimmelten Nial und Millie um den Campingbus herum und luden Zeug hinein. Eine Kühlbox, die Nial so umgebaut hatte, dass sie mit Strom aus dem Zigarettenanzünder betrieben werden konnte, wurde mit Bierdosen gefüllt, nicht mit Lebensmitteln oder irgendetwas Nahrhaftem, soweit Sally es erkennen konnte. Aufgerolltes Bettzeug und Millies Kleider hingen auf Bügeln in den Fenstern. Sie war jetzt schon in fieberhafter Aufregung; Nial hatte aus Versehen ihr Handy in die Waschschüssel fallen lassen, und jetzt lag es in Einzelteile zerlegt zum Trocknen auf der Ablage neben zwei von ihren Blusen, Jeansshorts und ein paar Slips, die nicht rechtzeitig aus der Wäsche gekommen waren.
    »Du kapierst einfach nicht, Mum. Wenn wir nicht total früh ankommen, haben wir voll die Arschkarte. Die besten Plätze sind in den ersten zehn Minuten weg, sogar in den Wohnwagenbereichen. Echt, wir hätten vor der Beerdigung packen sollen. Peter und die Freunde seines Bruders sind bestimmt schon da.«
    Sally wrang die Bluse sanft aus und hängte sie ins Fenster, wo sie den Rest der Wärme des Tages mitbekommen würde. Draußen waren die gelben Farbkleckse von Ranunkeln und Forsythien längst verschwunden, und jetzt erschienen die dicken, schwindelerregenden Sommerblüten, Rittersporn und Klatschmohn, und Bienen summten herum. Millie kam mit einem Armvoll Kleider auf dem Weg zum Bus am Fenster vorbei und streckte ihrer Mutter die Zunge heraus. Sally lächelte. Wie unglaublich – die ganze Zeit hatte sie geglaubt, sie beschütze die Kinder, und dabei hatten die Kinder sie beschützt. Nial ließ Musik über die Lautsprecheranlage des Busses laufen – Florence and the Machine –, und der ganze Wagen bebte. Sie waren keine Kinder mehr. Nein – sie waren erwachsen.
    Sie zog die Manschetten der Bluse glatt. Sie würde sie heute Abend tragen, und Steve würde sie ihr nachher ausziehen. Sie würden essen gehen. Sie würden stundenlang reden. Sie würden sich betrinken und albern werden. Sie würde ihm von dem Job erzählen, den die Hippies ihr angeboten hatten, die ihre Tarotkarten gekauft hatten; sie sollte Chefdesignerin für eine komplett neue Produktlinie werden, die sie starten wollten. Er würde ihr sagen, dass er sie liebe, und vielleicht zum hundertsten Mal würde er ihr etwas versprechen, das sie nicht annehmen würde: Er würde sagen, falls die Sache mit
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