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Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill

Titel: Atem - Hayder, M: Atem - Hanging Hill
Autoren: Mo Hayder
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Mit festem Blick und langsam klopfendem Herzen betrat sie die Diele und ging mit knirschenden Schritten über das Glas bis zu der Tür, durch die das Geräusch drang.
    Sie schob den Kopf um den Türrahmen, kühl und ohne Hast. Die Lampe brauchte sie nicht; der Mond schien durch das Fenster gegenüber und beleuchtete das Zimmer, das feucht und dreckig aussah. Es war voll von alten Möbeln; sie sah eine Anrichte, ein Sofa, das jemand anzuzünden versucht hatte, und eine kaputte Stehlampe, die schräg an der Wand lehnte. Zerrissene, geschwärzte Vorhänge hingen vor dem Fenster, das zu der Felsflanke hinausging. Auf der anderen Seite der gesprungenen Scheibe, gespenstisch vom Mondlicht beleuchtet, war das dunkle, ovale Gesicht eines Mannes. Kelvin. Er schlug monoton mit dem Kopf gegen die Glasscheibe. Sally zuckte nicht zurück, sondern blieb wie angewurzelt in der Tür stehen und starrte ihn an. Er sah sie nicht an. Er nahm sie gar nicht zur Kenntnis, so leer und abwesend war sein Blick in seinem brutalen Bestreben, ins Haus zu kommen.
    Er sah kleiner aus, als sie erwartet hatte. Offenbar kniete er dicht vor dem Fenster, und seine Hände waren unsichtbar unter dem Sims. Wie sie sich sein Gesicht auch immer vorgestellt haben mochte – verschlagen oder bösartig –, sie sah nichts dergleichen. Sein Gesicht war stumpf. Schlaff. In diesem Augenblick stand ihr Entschluss fest. Sie würden ihn töten. Sie hatte David Goldrab umgebracht, aber das hier würde einfacher werden. Viel einfacher.
    »Was ist los mit ihm?« Zoë war hinter ihr herangeschlichen und spähte über ihre Schulter. »Er sieht unheimlich aus. Ist er betrunken?«
    »Ja«, murmelte Sally. »Das ist gut. Er kann nichts tun.« Sie stellte die Lampe auf den Boden und hob das Beil. Sie schmeckte Galle im Mund. Jetzt war es also so weit. Der Augenblick war da. »Schau nicht hin.«
    »Warte.« Zoë packte sie beim Arm. »Moment mal. Da stimmt was nicht.«
    Sally ließ das Beil sinken, und Zoë hob die Lampe auf. Das Licht strahlte gleißend hell durch das winzige Zimmer, beleuchtete das Sofa und die Anrichte und die zerrissenen Vorhänge und hob Kelvins Gesicht in hartem Kontrast vor der Felswand ab. Er reagierte nicht auf das Licht. Zuckte nicht mit der Wimper. Er blieb in derselben Position, und sein schlaff hin und her rollender Kopf schlug weiter rhythmisch gegen das Fenster. Wo seine Stirn Kontakt mit der Scheibe hatte, war ein Mal zu sehen, aber es blutete nicht. Und die Schläge waren lasch, eher wie eine krampfhafte Zuckung, nicht wie absichtsvoll.
    »Warum ist er so weit unten?«
    Sally schüttelte den Kopf. Sie war gebannt von seinem Gesicht. »Kniet er nicht?«
    »Nein. Das ist was anderes.«
    Zusammen traten die beiden Frauen einen Schritt ins Zimmer. Zoë schüttelte die Lampe und bewegte sie ziellos hin und her, um einen Stroboskop-Effekt zu erzielen. Dann ging sie noch einen Schritt weiter und leuchtete ihm direkt in die Augen. Er reagierte immer noch nicht. Seine Augen waren starr nach vorn gerichtet, leer und schwarz, als blickten sie auf einen Punkt am Fensterrahmen.
    Sally atmete tief aus, ging zum Fenster und zerschmetterte die Scheibe mit ihrem Beil. Kelvin schwankte ein bisschen, schaute aber nicht zu ihr auf. Sein Kopf kippte nach vorn und schlug gegen den Rahmen, nur eine Handbreit vor ihrem Gesicht, und schnellte wieder zurück. Sie sah seine Augen unter den gesenkten Lidern. Sah die Schwärze. Sah die Narbe an seinem Schädel, die sich vom Ohr bis in den Kragen seines karierten Hemdes schlängelte. Sein Gesicht hatte sich zu einer Grimasse verzogen. Vorn an seinem Hemd war ein bisschen Blut, das vielleicht aus seinem Mund gekommen war.
    »Er ist tot«, sagte sie. »Tot.«
    Sie beugte sich aus dem zerbrochenen Fenster, leuchtete nach unten und sah, dass er nicht kniete. Er hatte nur keine Beine mehr. Was einmal seine untere Körperhälfte gewesen war, war zusammengestaucht wie eine Ziehharmonika, ein Klumpen zertrümmerter Gliedmaßen, den seine Jeans zusammenhielt wie ein Sack. Ein Ast, der aus der Felsflanke wuchs, hatte ihn erfasst, und er hing daran wie eine Marionette und schaukelte rückwärts und vorwärts gegen das Fenster. Langsam hob sie den Lichtstrahl zum Fels hinauf. Sah einen Baum, der schräg daraus hervorragte, fahlgelbe Erde, die dort heruntergerieselt war, eine lange Narbe, als sei dort jemand abgestürzt. Sie sah es vor sich: Kelvin und Nial rangen miteinander. Ein tiefer Absturz, Hals über Kopf.
    Sie trat vom Fenster
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