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Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
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hinaus auf die Straße. Aber Nadeschda war schon gegangen.
    Enttäuscht und erleichtert zugleich ging Jo in ihre Wohnung, pfefferte ihre Jacke in die Ecke und setzte sich an den Küchentisch.
    Besser so, dachte sie. Ich kann mich nicht verlieben. Ich darf mich nicht verlieben. Nein. Das kann ich Anne nicht antun.
    Warum nicht?
    Sei still.
    Â»Was meinst du, Anne?«, fragte sie in die leere Luft. »Wir zwei waren etwas Besonderes. Sowas wird es nie wieder geben. Wie schön das war mit uns. Warum kann es nicht wieder so sein! Warum? Anne!« Jo spürte, wie Tränen ihre Augen füllten, heiß über ihre Wangen liefen und auf die Tischplatte tropften. Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und haute verkrampft und zitternd auf den Tisch.
    Â»Ich weiß warum.« Jo schrie ihre Verzweiflung in die kleine Küche, deren Fliesen sie wieder zu ihr zurück warfen. Sie sank in sich zusammen und vergrub ihre Hände in ihren Haaren.
    Sie hatte sich verliebt. Verdammt. Es war anders als damals mit Anne. Aber es war das gleiche, nicht leugenbare Gefühl. Aber sie durfte es nicht. Anne und sie hatten sich damals geschworen, dass es nie wieder eine andere Frau in ihrem Leben geben würde. Und das galt für Jo immer noch, auch wenn Anne längst nicht mehr bei ihr war.
    Die Bilder von damals waren ihr immer noch vor Augen. Als sei alles erst gestern gewesen.
    Â»â€¦ neue Mitschülerin …«, das war das einzige, was Jo von der Ansprache ihrer Lehrerin mitbekam, als sie Anne damals der Klasse vorstellte. Jo hatte nur Augen für dieses märchenhaft schöne Wesen. All ihre Sinne vereinigten sich, um diesen Engel, wie sie ihr erschien, wahrzunehmen. Zu allem Überfluss stand Anne damals auch noch genau in einem Sonnenstrahl, der sie noch leuchtender und unwirklicher erscheinen ließ.
    Jo starrte Anne an. Sprachlos und unfähig, ihren offenen Mund wieder zu schließen. Das hielt sogar noch an, als Anne längst von der Lehrerin an den einzig noch freien Platz im Klassenzimmer geführt worden war, und Anne somit ihre neue Nebensitzerin wurde.
    Ihr Engel, ihre Nebensitzerin, ihre Freundin und ihre große Liebe. Das alles war kein Zufall gewesen. Da war sich Jo damals sicher. Es konnte kein Zufall sein, es passte alles so gut, es gab nicht die kleinste Kleinigkeit, die sich zwischen Jo und Anne hätte stellen können. Bis zu jenem Tag, als Anne sie verließ und eine Jo zurückließ, die nur noch mit einem Schrotthaufen zu vergleichen war. Drogenabhängig, kaputt und unfähig, ein normales Leben zu führen.
    Aber die zwei Jahre, die sie mit Anne verbringen durfte, reichten für ein ganzes Leben. Es gab Tage, da kam ihr die Erinnerung an diese beiden Jahre tatsächlich wie ein ganzes Leben vor. Ein früheres, ein lange vergangenes, aber ein nie vergessenes.
    Jos Handy vibrierte schon zum wiederholten Mal. Kevin versuchte, sie zu erreichen und schrieb eine Nachricht nach der anderen, wo sie denn um Gotteswillen sei und ob es ihr gut ginge. Jo ignorierte ihn. Verfluchter Kevin. Ohne ihn würde sie jetzt nicht hier am Küchentisch sitzen und sich die Augen ausheulen.
    Es war falsch, alles falsch. Aber warum fühlte es sich dann so gut an? Nur die Triebe. Nur dein Verlangen nach Liebe. Gaukeleien. Nichts sonst. Ohne Anne gab es keine Liebe, konnte es keine geben. Oder doch? Anne und Jo, das war lange her. Viel zu lange. Jo musste ihre Verwirrung hinausschreien. Und im selben Augenblick stürzte Kevin zur Tür herein und wollte atemlos wissen: »Was ist los?«
    Jo brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass Kevin bei ihr am Küchentisch saß, sie immer wieder ansprach und an ihren Schultern rüttelte. Sie atmete einige Male tief ein und aus und bat Kevin, ihr einen Tee zu machen, was er gerne und eifrig tat. Er machte immer alles, worum Jo ihn bat.
    Â»Ich habe jemanden kennengelernt«, eröffnete sie Kevin und war über sich erstaunt selbst, dass sie das gesagt hatte.
    Kevin erstarrte mit dem Tee und dem Teesieb in der Hand und blickte sie mit großen Augen an.
    Â»Kein Scheiß?«, fragte er.
    Â»Kein Scheiß.«
    Â»Ne Frau?«
    Â»Ja, ne Frau, Dummkopf. Mit Brüsten.«
    Â»Entschuldige.« Kevin legte hektisch die Teeutensilien beiseite und setzte sich zurück an den Tisch. Seine immense Körpermasse hinderte ihn daran, dies elegant und grazil zu tun, aber es gelang ihm überraschend schnell.
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