Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Aschenwelt

Aschenwelt

Titel: Aschenwelt
Autoren: Timon Schlichen Majer
Vom Netzwerk:
riss es ihr aus der Hand. »Das lässt du schön bleiben!«
    Â»Gib her, du Arsch!«
    Â»Nö.«
    Jo blitzte ihn böse an, fand aber nicht die Kraft, sich mit ihm anzulegen.
    Â»Wann und wo treft ihr euch?«
    Â»Morgen Abend. Hier.«
    Â»Wow! Das ging aber fix.«
    Â»Nicht hier bei mir. Nadeschda holt mich hier ab und wir gehen dann auf ein Konzert.«
    Â»Klingt gut«, sagte Kevin. »Freust du dich?«
    Â»Ich weiß es nicht.«
    Â»Du freust dich«, sagte Kevin. »Ich seh’s dir an.«
    Â»Was du alles siehst.«
    Â»Kann ich dir dein Telefon wieder geben? Bist du wieder zur Vernunft gekommen?«
    Â»Gib her.«
    Â»Aber nicht absagen!«
    Jo schüttelte den Kopf. Es war ja nur ein Konzert. Weiter nichts. Mehr musste nicht geschehen. Mehr durfte nicht geschehen!
    Der Tag des Konzerts floss zäh wie Zuckersirup dahin. Jo zählte die Minuten bis zum Abend. Sie lief in der Wohnung auf und ab, zog all ihre Klamotten an und wieder aus, um am Ende doch wieder bei den herkömmlichen zu landen, in denen sie sich am wohlsten und vor allem am sichersten fühlte: Kapuzenpulli, weite Arbeiterhose. Alles schwarz.
    Und endlich, endlich war es soweit. Es klingelte. Jo stürmte das Treppenhaus hinab, riss die Haustür auf und fiel Nadeschda fast in die Arme.
    Â»Langsam, langsam.« Nadeschda lachte.
    Â»Hey.« Jo versuchte, ganz ruhig zu atmen, was ihr schwer fiel.
    Vom Konzert bekam Jo so gut wie nichts mit. Sie konnte ihre Augen nicht von Nadeschda lassen. Sie war noch schöner als in ihrer Erinnerung. Und wie sie tanzte. Nadeschda war das pure Leben. Und Jo fühlte sich plötzlich wieder so jung und energiegeladen wie früher. Es gab keinen Zweifel mehr. Sie hatte sich verliebt. Zum zweiten Mal in ihrem Leben. Eine Weile hörte sie noch die Stimme in ihr, die fortwährend schrie, dass sie abhauen und nicht in ihr Unglück rennen sollte. Aber sie wurde leiser, immer leiser, bis sie schließlich ganz verstummte, übertönt von der Musik und jener anderen Stimme in Jo, die ihr sagte, dass jetzt alles gut werden würde. Jo hatte sich entschieden. Sie allein war Herrin in ihrem Leben. Sie allein entschied, was gut und was schlecht für sie war. Und Nadeschda war gut für sie.
    Die Sonne schien aufs Bett und Nadeschda schlief noch immer. Jo schmiegte sich an sie und genoss die doppelte Wärme, die der Sonne und die Nadeschdas. Das hatte Jo die Jahre über am meisten vermisst, die Wärme nackter Haut eines anderen Menschen im morgendlichen Bett.
    Nadeschda murmelte etwas Unverständliches.
    Â»Was?«, fragte Jo.
    Nadeschda murmelte noch einmal, befreite sich aus Jos Umarmung, sprang aus dem Bett und rannte ins Bad. Jo blickte ihr verwirrt nach, und während sie sich noch fragte, was das nun zu bedeuten hatte, erschien Nadeschda in einem seidenen und spitzenbesetzten Nachthemd und einem Lächeln im Gesicht unter dem Türrahmen.
    Â»Sorry«, meinte sie. »Ich musste schnell Zähneputzen, sonst fällst du in Ohnmacht, wenn ich dich nur anschaue.« Sie sprang wieder zu Jo ins Bett und küsste sie mitten auf den Mund. Jo glitt mit den Fingerkuppen über die Seide von Nadeschdas Nachthemd und spürte die warme Haut darunter und wünschte sich, das den ganzen Tag lang tun zu können.
    Â»Frühstück?«, fragte Nadeschda, auf allen Vieren vor Jo kniend.
    Â»Ich frühstücke eigentlich nie«, erwiderte Jo. »Können wir nicht noch ein bisschen kuscheln?«
    Â»Ich sterbe vor Hunger!«, stöhnte Nadeschda. »Ich mach uns ein Frühstück, das auch du mögen wirst. Okay?«
    Â»Wenn’s sein muss.«
    Â»Muss.«
    Â»Na gut.«
    Nadeschda befahl ihr, im Bett auf sie zu warten. Jo hüllte sich in die Bettdecke und lauschte dem geschäftigen Klappern in der Küche. Sie stieß einen zufriedenen Seufzer aus und schaute sich in Nadeschdas Zimmer um.
    Es war in allen Belangen das genaue Gegenteil ihres eigenen, recht karg eingerichtet, eher pragmatisch als gemütlich. Die Wände waren kahl und nur weiß gestrichen, kein Bild, keine Lampe, ganz anders als Jos Zimmerwände, die komplett mit ihrer Wandmalerei bedeckt waren, und das, obwohl sie noch gar nicht so lange darin wohnte. An der Wand zu ihrer Linken stand ein Schrank, in dem Nadeschda ihre Kleidung verstaute. Jo hatte dafür nur ein aus Betonsteinen und Brettern von einer Baustelle selbst gezimmertes
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher