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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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mehrere Männer und verbargen ihre Augen hinter Sonnenbrillen. Rosa war sicher, dass sie alle zu ihr heruntersahen.
    Sie stellte den Motor ab und wollte aussteigen, als das Portal oberhalb eines marmornen Treppenaufgangs aufschwang. Alessandro trat ins Freie, in Turnschuhen, ausgeblichenen Jeans und einem T-Shirt mit irgendeinem Bandlogo. Er sah wütend aus. Kurz blickte er über die Schulter ins Innere des Gemäuers, rief etwas, das sie nicht verstand, dann eilte er die Stufen herab und beugte sich über die Beifahrertür.
    »Lass den Motor an«, sagte er ohne Begrüßung.
    Sie legte wieder die Finger an den Zündschlüssel, drehte ihn aber nicht um. Sie setzte zu einer Erwiderung an, die nicht besonders freundlich werden sollte, doch er schüttelte grimmig den Kopf und schwang sich über die geschlossene Tür auf den Sitz. Die Bewegung war so lässig, dass eine ihrer Brauen vor Verblüffung nach oben rutschte.
    »Ich bin wahnsinnig beeindruckt.« Die Ironie sollte nur überspielen, dass sie es wirklich war.
    »Fahr los.«
    Sie wartete noch einen Moment länger, sah hinüber ins Dunkel jenseits des offenen Portals und bemerkte, dass sich die Männer auf den Balkonen wie auf Kommando von ihren Sitzen erhoben. Als hätte ein unsichtbarer Puppenspieler über den Dächern an ihren Fäden gezogen. Jetzt erst bemerkte sie, dass alle Headsets trugen.
    Sie ließ den Motor an und wendete den Wagen.
    »Was ist mit dem Tor?«, fragte sie.
    »Keine Sorge. Ich bin bei dir.«
    Das war so sehr die falsche Antwort, dass es ihr glatt die Sprache verschlug. Um Haaresbreite wäre sie auf die Bremse getreten und hätte ihn aus dem Wagen geworfen.
    Wäre da nicht dieser Unterton gewesen, der ihr sagte, dass dies keine Angeberei war. Er war wirklich überzeugt, dass seine Anwesenheit sie gerade vor Schlimmerem bewahrte.
    Sie seufzte. »Sag’s schon: Ich hätte nicht herkommen dürfen.«
    »Du hättest nicht herkommen dürfen.« Er sah sie von der Seite an und grinste flüchtig. »Aber ich bin froh, dass du es trotzdem getan hast.«
    Sie lenkte das Cabrio in den Tortunnel und erwartete, dass die Eisenkrallen im Boden ausgefahren wurden. Die Reifen rollten mit einem leichten Hüpfer über die erste Sperre. Gleich kam die zweite. Die Kameras unter der Decke blickten aus dunklen Augen dem Wagen nach. Hinter ihnen im Hof wurden Stimmen laut. Als sie kurz in den Rückspiegel sah, bemerkte sie, dass jemand an die Balustrade der Marmortreppe trat, sich mit beiden Händen daraufstützte und ihnen nachschaute. Das Rumpeln, als sie über die zweite Sperre fuhren, verhinderte, dass sie den Mann erkannte.
    »Cesare?«, fragte sie.
    Alessandro nickte.
    Sie verließen den Tortunnel und passierten die Kameras und Mikrofone an der Außenseite. Auf der Serpentinenstraße gab Rosa mehr Gas, als nötig war. Alessandro wurde blass, als sie um die nächste Kurve rasten. Sie lächelte zufrieden.
    »Deine Tante hatte Recht«, sagte er.
    »Ganz sicher nicht.«
    »Doch, es war richtig, dass sie dich von der Insel geholt hat. Tano hat einen Mordsärger bekommen, als Cesare erfahren hat, dass du bei uns warst und er dir nicht mal … einen Schrecken eingejagt hat.«
    Den Schrecken hatte vielmehr Alessandro ihr eingejagt, als er sich bei seinem Kampf mit Tano verändert hatte. Oder sie geglaubt hatte, dass er sich veränderte.
    Er lächelte plötzlich.
    »Wir tun einfach so, als hättest du mich zu einem Ausflug abgeholt.«
    »Wenn du jetzt sagst ›Fangen wir noch mal von vorne an‹, dann schreie ich. Mein Bedarf an Szenen aus schlechten Filmen ist seit Tanos Bikinifreundinnen gedeckt.«
    Er lachte und berührte flüchtig ihre Hand an der Gangschaltung, aber seine Finger waren so schnell wieder fort, dass es auch ein warmer Luftzug hätte gewesen sein können. »Wie geht’s dir?«
    »Du meinst das nicht nur höflich, oder?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Rosa zuckte die Achseln. »Meine Schwester hat sich gestern Nacht in eine Riesenschlange verwandelt. Und dein Cousin Tano –«
    »Großcousin.«
    »Er war auch da, als Tiger. Ich hab ihn an seinen Augen erkannt. Er und die Schlange haben miteinander gekämpft. Dann bin ich bewusstlos geworden.« Sie warf ihm einen Seitenblick zu. »Wie klingt das?«
    »Nach Äsops Fabeln. Der von der Schlange und dem Tiger.«
    »Die gibt’s wirklich?«
    Er lachte. »Nein. Würde aber passen.«
    »Die andere Möglichkeit ist, dass ich mir das alles nur eingebildet habe.« Sie fuhr noch immer viel zu schnell, als sie das
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