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Asche und Phönix

Asche und Phönix

Titel: Asche und Phönix
Autoren: Kai Meyer
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aufleuchten, mit dem ihre Schulter bandagiert war.
    »Wie siehst du denn aus?« Rosa sprang auf, aber das war keine gute Idee. Ihre Knie klappten ein und gleich darauf saß sie wieder auf der Bettkante.
    »Und du?«, fragte Zoe.
    »Du bist verletzt, ich nur verrückt. Also fang du an.«
    Zoe brachte ein schmales Lächeln zu Stande. »Ich war draußen, gestern Abend.« Sie zögerte, weil sie offenbar nicht wusste, ob Rosa ihr gefolgt oder nur zufällig im Wald gewesen war. Sicher ahnte sie die Wahrheit, aber sie ging nicht darauf ein. »Ich war spazieren. Irgendwas hat mich angegriffen. Ein wilder Hund wahrscheinlich. Oder ein ganzes Rudel. Mehr weiß ich nicht, totaler Filmriss. Die Wächter haben mich aufgelesen. Übrigens hab ich das dir zu verdanken – wenn du ihnen nicht schon vorher über den Weg gelaufen wärst und sie den ganzen Berg abgesucht hätten, hätten sie mich nicht so schnell gefunden.«
    Rosa musterte sie durchdringend. »Wahrscheinlich lässt man das mit dem Spazierengehen in dieser Gegend besser bleiben.«
    Zoe hielt ihrem Blick stand. »Wahrscheinlich.«
    Wie viel von dieser Gelassenheit war gespielt? Und wie viel war echte Coolness?
    »Was ist mit deiner Schulter?«, fragte Rosa.
    »Sieht schlimmer aus, als es ist. Eine Bisswunde. Der Arzt aus Piazza Armerina hat mich geimpft. Er ist heute Nacht noch hier gewesen. Bei dir übrigens auch.«
    Rosa bekam einen Kloß im Hals. »Ich kann mich an überhaupt nichts erinnern.«
    »Er hat dir eine Beruhigungsspritze gegeben, sagt Florinda. Als sie dich am Waldrand gefunden haben, warst du wohl ziemlich aufgelöst. Sie hat dich ins Bett gebracht und dann die Wachleute ausschwärmen lassen. Als sie wieder zu dir raufkam, warst du verschwunden. Du bist geschlafwandelt und hast im Palmenhaus gelegen, sagt sie. Gleichzeitig kam auch der Arzt an und der hat dich erst mal lahmgelegt.«
    Rosa konnte nichts sagen, aber ihr Blick musste Bände sprechen.
    Zoe deutete es falsch. »Die Ärzte, die sich mit den Familien einlassen, fackeln nicht lange. Normalerweise haben sie es mit Schlimmerem zu tun als ein paar Kratzern und Bissen. Sie tun einfach, was getan werden muss, und verlieren danach nie mehr ein Wort darüber. Besser für alle Beteiligten, und sie werden gut dafür bezahlt.«
    »Das Gesetz des Schweigens«, flüsterte Rosa.
    »Das hier ist Sizilien. Die omertà gehört dazu wie der Rauch über den brennenden Feldern und der Müll im Straßengraben.«
    »Wie lyrisch.«
    Zoe trat von einem Fuß auf den anderen. Womöglich um davon abzulenken, dass sie nun doch noch Unsicherheit zeigte, ging sie hinüber zum Fenster und schaute hinaus.
    Rosa wartete, ob ihre Schwester von sich aus etwas dazu sagen würde. Aber sie stand nur da, sah hinaus und schwieg.
    Rosa kräuselte die Stirn. »Da ist noch was, oder?«
    Zoe seufzte, wandte sich um und wollte sich auf die Fensterbank ziehen, ehe ihr schmerzhaft bewusst wurde, dass sie das in ihrem Zustand besser bleibenließ. Es fiel ihr sichtlich schwer, erneut das Wort zu ergreifen, aber das lag nicht an ihren Wunden.
    »Er ist hier gewesen«, sagte sie.
    Rosa hatte mit etwas ganz anderem gerechnet, und einen Moment lang war sie irritiert. »Wer?«
    »Alessandro Carnevare.«
    »Hier im Haus?« Nach Florindas überzogener Rettungsaktion auf der Isola Luna konnte er nicht viel Dümmeres tun, als ausgerechnet hier aufzutauchen.
    » Im Haus wäre übertrieben«, sagte Zoe. »Vor der Tür.«
    »Wie ist er an den Wächtern vorbeigekommen?«
    Ein Schulterzucken. »Er hat unten an der Sprechanlage um Erlaubnis gebeten.«
    »Und Florinda hat ihn reingelassen?«
    »Sie hat ihn sogar ausdrücklich eingeladen, behauptet sie. Um ihm Auge in Auge zu sagen, dass sie das Konkordat brechen wird, wenn er seine schmutzigen Finger nicht von ihrer dummen, naiven, undankbaren Nichte lässt. Ihre Worte, nicht meine.«
    Rosa sprang auf und zu ihrer eigenen Überraschung klappte es diesmal recht gut. »Das war, als wir draußen im Wald waren, richtig?«
    Zoe nickte.
    »Und war er allein? Oder war Tano bei ihm?«
    Ein Schatten zog über die Miene ihrer Schwester. »Florinda hat nur von ihm gesprochen.«
    »Was wollte er? Fuck, Zoe – nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«
    »Was wohl? Mit dir sprechen.«
    »Und Florinda hat gedroht ihn umzubringen?« Rosas Blick suchte unauffällig die Plastikmappe, die neben ihrem Bett auf dem Nachttisch lag. Hatte jemand hineingeschaut? Wer auch immer Rosa ins Bett gelegt hatte, Florinda
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