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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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schweren Streit in der Nacht. Ich setzte ihr zu, so etwas nie wieder zu tun. Dem hiesigen Personal teilte ich mit, daß ich erkrankt sei. Lange zerbrach ich mir den Kopf, welche Krankheit ich mir zulegen sollte. Dann sagte ich, ich hätte Rheumatismus in den Beinen und schwere Neurasthenie. Sie wissen, daß ich im Februar nach Moskau fahre, um mich zu kurieren. Alles geht glatt. In der Arbeit keine Fehlschläge. An den Tagen, wo ich unter Erbrechen und Schluckauf leide, vermeide ich es zu operieren. Darum mußte ich mir auch noch einen Magenkatarrh zulegen. Ach, so viele Krankheiten in einem Menschen!
    Das hiesige Personal ist mitleidig und rät mir zu dem Urlaub.
     
    Mein Aussehen: mager, wachsbleich.
    Ich habe ein Bad genommen und mich bei dieser Gelegenheit auf der Krankenhauswaage gewogen. Voriges Jahr wog ich 130 Pfund, jetzt sind es nur noch 108. Zuerst erschrak ich, doch das ging vorüber.
    Auf den Unterarmen habe ich ständig Eiterbeulen, ebenso auf den Oberschenkeln. Ich verstehe es nicht, die Lösung steril zu bereiten, außerdem habe ich dreimal unabgekochte Spritzen benutzt, ich hatte es sehr eilig vor der Reise.
    Das ist unzulässig.
    18. Januar
    Ich hatte eine Halluzination: Ich warte darauf, in den schwarzen Fenstern bleiche Gesichter erscheinen zu sehen. Unerträglich. Der Store ist zu wenig. Ich holte mir im Krankenhaus Mull und verhängte die Scheiben. Ein Vorwand fiel mir nicht ein.
    Ach, hol’s der Teufel! Warum eigentlich muß ich mir für jede Handlung einen Vorwand ausdenken? Das ist ja eine einzige Qual und kein Leben.

    Drücke ich meine Gedanken glatt aus? Ich finde, ja. Leben? Lächerlich.
    19. Januar
    Heute, in einer Pause der Sprechstunde, als wir uns in der Apotheke ausruhten und rauchten, erzählte der Feldscher, während er Pulver zurechtmachte (aus irgendwelchen Gründen lachte er dabei), daß eine an Morphinismus erkrankte Feldscherin, die sich kein Morphium mehr verschaffen konnte, statt dessen jeweils ein halbes Glas Opiumaufguß zu nehmen pflegte. Während dieses quälenden Berichts wußte ich nicht, wo ich meine Augen lassen sollte. Was gibt es dabei zu lachen? Ich hasse ihn. Was ist daran lächerlich?
    Ich stahl mich aus der Apotheke.
    Was finden Sie an dieser Krankheit lächerlich?
    Aber ich sagte es nicht, ich sa…
    In meiner Situation ist es nicht angebracht, die Menschen besonders hochmütig zu behandeln.
    Ach, der Feldscher. Er ist genauso grausam wie diese Psychiater, die einem Kranken mit nichts, mit nichts, mit nichts helfen können.
    Mit nichts.
     
    Die vorhergehenden Zeilen sind während der Enthaltsamkeit geschrieben und enthalten viel Ungerechtes.
     
    Jetzt ist Mondnacht. Nach einem Anfall von Erbrechen liege ich geschwächt. Ich kann die Hände nicht hochheben und male meine Gedanken mit dem Bleistift hin. Sie sind rein und stolz. Für ein paar Stunden bin ich glücklich. Vor mir liegt der Schlaf. Über mir ist der Mond, er hat einen Hof. Nach der Spritze fürchte ich nichts.
    1 . Februar
    Anna ist gekommen. Sie sieht gelb und krank aus.
    Ich habe sie zugrunde gerichtet. Jawohl. Eine große Sünde liegt auf meinem Gewissen.

    Ich habe ihr geschworen, Mitte Februar wegzufahren.
     
    Werde ich den Schwur halten?
     
    Ja. Ich halte ihn.
    Also werde ich leben.
    3. Februar
    Also: ein Hügel. Vereist und endlos wie jener, von dem in meiner Kindheit der Schlitten den kleinen Kay aus dem Märchen hinwegtrug. Mein letzter Flug über den Hügel, und ich weiß, was mich unten erwartet. Ach, Anna, großes Leid wirst du bald erdulden, wenn du mich geliebt hast.
    11. Februar
    Ich habe mich entschlossen. Ich werde an Bomhart schreiben. Warum gerade an ihn? Weil er kein Psychiater, weil er jung und mein Studienfreund ist. Er ist gesund und stark, aber weich, wenn ich mich recht erinnere. Vielleicht finde ich Teilnahme bei ihm. Er wird sich was einfallen lassen. Soll er mich nach Moskau bringen. Ich kann nicht zu ihm fahren. Urlaub habe ich schon bekommen. Liege im Bett. Gehe nicht ins Krankenhaus.
    Den Feldscher habe ich schlechtgemacht. Nun ja, er hat gelacht. Unwichtig. Er hat mich besucht. Schlug vor, mich abzuhorchen.
    Ich habe es nicht erlaubt. Wieder einen Vorwand für meine Weigerung suchen? Ich will nicht. Der Brief an Bomhart ist abgeschickt.
     
    Menschen! Wird mir jemand helfen?
    Pathetisch rufe ich es aus. Könnte es jemand lesen, er würde denken – unaufrichtig. Aber niemand wird es lesen.
     
    Bevor ich an Bomhart schrieb, dachte ich an alles zurück.
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