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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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auf das weißschimmernde Krankenhausgebäude zu.

    In mir kochte die Wut, vor allem weil ich nicht die leiseste Ahnung hatte, wie eine Morphiumlösung für subkutane Injektion zubereitet wird. Ich bin Arzt und kein Feldscher.
    Ich ging und zitterte.
    Ich hörte, daß sie mir wie ein treuer Hund folgte. Zärtlichkeit stieg in mir auf, doch ich erstickte sie. Ich drehte mich um und sagte zähnefletschend:
    »Machen Sie’s mir oder nicht?«
    Sie winkte resigniert ab, als wolle sie sagen, es sei ja doch alles egal, und antwortete leise:
    »Geben Sie her, ich mach’s.«
    Eine Stunde später war ich in normaler Verfassung. Natürlich bat ich sie um Verzeihung für meine sinnlose Grobheit. Ich wüßte selber nicht, wie mir das passieren konnte. Früher sei ich ein höflicher Mensch gewesen.
    Sie nahm meine Entschuldigung seltsam auf. Fiel auf die Knie, schmiegte sich an meine Hände und sagte:
    »Ich bin Ihnen nicht böse. Nein. Ich weiß jetzt, Sie sind verloren. Ich weiß es. Und ich verfluche mich, daß ich Ihnen damals die Injektion gemacht habe.«
    Ich beruhigte sie, so gut ich konnte, versicherte ihr, sie trage gar keine Schuld und ich sei für meine Handlungen allein verantwortlich. Ich versprach ihr, von morgen an ernsthaft mit der Entwöhnung zu beginnen, indem ich die Dosis verringere.
    »Wieviel haben Sie jetzt gespritzt?«
    »Eine Kleinigkeit. Drei Spritzen mit einprozentiger Lösung.«
    Sie preßte den Kopf in die Hände und schwieg.
    »Aber so regen Sie sich doch nicht auf!«
    Dabei konnte ich ihre Besorgnis verstehen. Tatsächlich ist morphium hydrochloricum ein gefährliches Zeug. Man wird sehr schnell süchtig. Aber eine kleine Sucht ist doch noch kein Morphinismus?
    Wahrhaftig, diese Frau ist mein einziger treuer, wirklicher Freund. Eigentlich sollte sie meine Frau sein. Die andere habe ich vergessen. Vergessen. Dank dem Morphium …
8. April 1917
    Es ist eine Qual.
    9. April
    Der Frühling ist scheußlich.
     
    Der Teufel im Fläschchen. Kokain ist der Teufel im Fläschchen!
    Es wirkt folgendermaßen: Wenn man zweiprozentige Lösung injiziert, tritt fast augenblicklich ein Zustand von Ruhe ein, der sogleich in Begeisterung und Glückseligkeit übergeht. Das dauert jedoch nur eine oder zwei Minuten. Dann verschwindet alles spurlos, als wäre es nie gewesen. Nun kommen Schmerzen, Entsetzen, Finsternis. Der Frühling dröhnt, schwarze Vögel fliegen auf den kahlen Bäumen von Zweig zu Zweig, in der Ferne reckt sich borstenartig ein schwarzer Wald gen Himmel, dahinter lodert, ein Viertel des Himmels erfassend, der erste Frühlingssonnenuntergang.
    Mit meinen Schritten durchmesse ich das einsame große Zimmer in meiner Arztwohnung, quer von der Tür zum Fenster und vom Fenster zur Tür. Wie viele solcher Gänge kann ich machen? Höchstens fünfzehn oder sechzehn. Dann muß ich ins Schlafzimmer gehen. Auf Mull liegt die Spritze neben dem Fläschchen. Ich nehme sie, reibe sorgsam den zerstochenen Schenkel mit Jod ab und steche die Nadel in die Haut. Keinerlei Schmerz. Oh, im Gegenteil: Ich genieße im voraus die Euphorie, die gleich kommt. Da ist sie schon. Ich erkenne sie daran, daß die Töne der Harmonika, die der über den Frühling erfreute Wächter Wlas draußen auf der Vortreppe spielt, diese abgerissenen, heiseren Harmonikatöne, die dumpf durchs Fenster zu mir dringen, zu Engelsstimmen werden und die groben Bässe des ausgeleierten Balges wie ein himmlischer Chor tönen. Aber da ist schon der Moment, wo das Kokain im Blut nach einem geheimnisvollen, noch in keinem pharmakologischen Lehrbuch beschriebenen Gesetz sich in etwas Neues verwandelt. Ich weiß: Der Teufel
spukt in meinem Blut. Wlas auf der Vortreppe nickt ein, und ich hasse ihn, und der Sonnenuntergang, unruhig grummelnd, brennt mir die Eingeweide aus. So geht es ein paarmal hintereinander an einem Abend, bis ich begreife, daß ich vergiftet bin. Das Herz hämmert dermaßen, daß ich es in den Händen spüre, in den Schläfen … Dann sackt alles in den Abgrund, und es gibt Momente, da denke ich, Doktor Poljakow kehrt nie wieder ins Leben zurück …
    13. April
    Ich, der unglückliche Doktor Poljakow, der im Februar dieses Jahres an Morphinismus erkrankte, warne jeden, dem ein ähnliches Los beschieden ist: Nie soll er Morphium durch Kokain ersetzen wollen. Kokain ist ein abscheuliches und tückisches Gift. Gestern hat mich Anna mühsam mit Kampfer auf die Beine gebracht, und heute bin ich halbtot.
    6. Mai 1917
    Schon ziemlich lange habe
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