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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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Ganze Abende sitze ich mutterseelenallein bei Lampenlicht. Tagsüber sehe ich noch Menschen. Aber ich arbeite mechanisch. An die Arbeit habe ich mich gewöhnt. Sie ist nicht so schlimm, wie ich gedacht hatte. Im übrigen hat mir das Lazarett im Krieg viel geholfen. Bin nicht ganz so unvorbereitet hierhergekommen.
    Heute zum erstenmal eine Wendung gemacht.
    Drei Menschen sind hier also unterm Schnee begraben: ich, die Feldscherin und Hebamme Anna Kirillowna und der Feldscher. Er ist verheiratet. Das Feldscherpersonal wohnt im Seitenflügel. Ich wohne allein.
    15. Februar
    Gestern nacht ist etwas Eigenartiges passiert: Ich wollte mich gerade schlafen legen, da bekam ich plötzlich so heftige Schmerzen in der Magengegend, daß mir kalter Schweiß auf die Stirn trat. Unsere Medizin ist trotz allem eine zweifelhafte Wissenschaft, muß ich sagen. Woher
kriegt ein Mensch mit gesundem Magen und Darm (auch nie Blinddarmentzündung gehabt), mit gesunden Nieren und gesunder Leber auf einmal nachts solche Schmerzen, daß er sich im Bett windet?
    Stöhnend schleppte ich mich in die Küche, wo die Köchin mit ihrem Mann Wlas übernachtete. Ich schickte ihn zu Anna Kirillowna. Sie kam gleich zu mir und war genötigt, mir eine Morphiuminjektion zu machen. Sie sagte, ich hätte ganz grün ausgesehen. Wovon?
    Unser Feldscher gefällt mir nicht. Menschenscheu. Anna Kirillowna aber ist eine liebe, aufgeschlossene Frau. Ich wundere mich, wie eine keineswegs alte Frau so einsam in dieser Schneegruft leben kann. Ihr Mann ist in deutscher Gefangenschaft.
    Ich muß denen ein Lob spenden, die zum erstenmal aus Mohnkapseln Morphium zogen. Wahre Wohltäter der Menschheit. Die Schmerzen hörten sieben Minuten nach der Spritze auf. Interessant: Vordem kam eine Schmerzwelle nach der anderen, so daß mir die Luft knapp wurde und ich das Gefühl hatte, jemand stieße mir ein glühendes Brecheisen in den Bauch und drehte es herum. Etwa vier Minuten nach der Spritze konnte ich die einzelnen Wellen des Schmerzes unterscheiden.
     
    Es wäre sehr gut, wenn die Ärzte viele Medikamente an sich selbst ausprobieren könnten. Sie würden dann deren Wirkung viel besser einschätzen. Nach der Spritze schlief ich zum erstenmal seit Monaten tief und ruhig, ohne an sie zu denken, die mich betrogen hatte.
    16. Februar
    Heute erkundigte sich Anna Kirillowna während der Sprechstunde, wie ich mich fühle, und sagte, ich sei zum erstenmal in der ganzen Zeit nicht mürrisch.
    »Was, ich bin mürrisch?«
    »Sehr«, antwortete sie überzeugt und fügte hinzu, es wundere sie, daß ich stets schweige.
    »Ich bin eben so ein Mensch.«

    Aber das stimmt nicht. Bis zu meinem Familiendrama war ich sehr lebensfroh.
    Es wird zeitig dunkel. Ich bin allein in der Wohnung. Am Abend kam wieder der Schmerz, aber nicht sehr heftig, wie ein Schatten des gestrigen Schmerzes, irgendwo unterm Brustbein. Aus Furcht vor einem erneuten Anfall spritzte ich mir selbst ein Zentigramm in den Oberschenkel.
    Der Schmerz hörte fast sofort auf. Gut, daß Anna Kirillowna die Ampulle dagelassen hatte.
    18. Februar
    Vier Injektionen sind nicht schlimm.
    25. Februar
    Komische Frau, diese Anna Kirillowna! Als ob ich nicht Arzt wäre. Eineinhalb Spritzen, das sind 0,015 morph. Ja.
    1. März
    Doktor Poljakow, aufpassen!
    Quatsch.
     
    Dämmerung.
    Schon vierzehn Tage waren meine Gedanken nicht mehr bei der Frau, die mich betrogen hat. Das Motiv aus ihrer Partie – Amneris – verfolgt mich nicht mehr. Ich bin stolz darauf. Ich bin ein Mann.
    Anna K. ist meine heimliche Frau geworden. Es konnte nicht anders sein. Wir sind auf einer unbewohnten Insel eingeschlossen.
     
    Der Schnee hat sich verändert, ist irgendwie grauer geworden. Grimmigen Frost gibt es nicht mehr, nur die Schneestürme kehren von Zeit zu Zeit wieder.
     
    Erste Minute: das Gefühl einer Berührung am Hals. Sie breitet sich aus. Das Empfinden von Wärme. In der zweiten Minute läuft eine kalte Welle durch die Brust, dann folgen ungewöhnliche Klarheit des Denkens und eine Explosion von Arbeitslust. Jegliche unangenehmen Empfindungen
hören auf. Die geistige Kraft erreicht ihren Höhepunkt. Wäre ich nicht durch die medizinische Ausbildung voreingenommen, so würde ich sagen, der Mensch kann nur nach einer Morphiumspritze normal arbeiten. Tatsächlich, was zum Teufel taugt der Mensch, wenn die kleinste Neuralgie ihn gänzlich aus dem Sattel wirft!
     
    Anna K. hat Angst. Ich habe sie beruhigt und ihr gesagt, daß ich mich von klein
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