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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten
Autoren: Michail Bulgakow
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kommen. Wenn auch nur für einen Tag. Wenn auch nur für eine Stunde. Sollten Sie meinen, ich sei ein hoffnungsloser Fall, so werde ich Ihnen glauben. Vielleicht aber gibt es noch Rettung. Ja, vielleicht gibt es noch Rettung? Leuchtet mir noch ein Hoffnungsschimmer? Bitte sprechen Sie zu niemandem über den Inhalt dieses Briefes.«
    »Marja! Gehen Sie sofort ins Sprechzimmer und rufen Sie mir die Nachtschwester, wie heißt sie gleich, hab’s vergessen, jedenfalls die Nachtschwester, die mir eben den Brief gebracht hat. Schnell.«

    »Sofort.«
    Ein paar Minuten später stand die Nachtschwester vor mir; Schneeflocken schmolzen auf dem abgewetzten Katzenfellkragen.
    »Wer hat den Brief gebracht?«
    »Keine Ahnung. Einer mit Bart. Von der Genossenschaft. Er sagte, er hat in der Stadt zu tun.«
    »Hm. Na, gehen Sie. Nein, warten Sie. Ich schreib einen Zettel für den Chefarzt, damit gehen Sie bitte zu ihm und bringen mir dann die Antwort.«
    »Gut.«
    Mein Zettel an den Chefarzt:
    »13. Februar 1918
    Werter Pawel Illarionowitsch, ich bekomme soeben einen Brief von meinem Studienfreund, Doktor Poljakow. Er sitzt in meinem ehemaligen Revier in Gorelowo und ist völlig einsam. Scheint schwer erkrankt zu sein. Ich halte es für meine Pflicht, zu ihm zu fahren. Wenn Sie gestatten, übergebe ich morgen die Abteilung für einen Tag Doktor Rodowitsch und fahre zu Poljakow. Der Mann ist hilflos.
    Hochachtungsvoll Dr. Bomhart.«
    Die Antwort des Chefarztes:
    »Werter Wladimir Michailowitsch, fahren Sie. Petrow.«
    Ich verbrachte den Abend über dem Fahrplan. Nach Gorelowo konnte ich folgendermaßen gelangen: morgen vierzehn Uhr mit dem Moskauer Postzug dreißig Werst bis zur Station N. und von dort zweiundzwanzig Werst mit dem Schlitten zum Krankenhaus Gorelowo.
    Wenn alles gut geht, bin ich morgen nacht in Gorelowo, dachte ich dann im Bett. Was mag er haben? Typhus, Lungenentzündung? Weder noch. Dann hätte er einfach geschrieben: Ich habe Lungenentzündung. So ist der Brief verworren und ein bißchen unaufrichtig. »Ich bin sehr schwer und sehr böse erkrankt.« Woran denn? An Syphilis? Ja, bestimmt an Syphilis. Er ist verstört, er verheimlicht es, er hat Angst … Aber mit was für Pferden soll ich, bitte schön, von der Station nach Gorelowo fahren?
Unangenehm, wenn ich bei Dunkelwerden auf der Station ankomme und keine Fahrgelegenheit finde. Ach was, ich werde schon was finden. Irgendwer auf der Station wird doch Pferde haben. Telegrafieren, er soll Pferde schicken? Sinnlos! Das Telegramm kommt erst am Tag nach meiner Ankunft an. Fliegt schließlich nicht durch die Luft nach Gorelowo. Auf der Station bleibt es liegen, bis sich eine Gelegenheit findet. Ich kenne Gorelowo, diesen Krähwinkel!
    Das Rezeptformular lag im Lichtkreis des Nachttischlämpchens neben dem Gefährten meiner gereizten Schlaflosigkeit – dem kippenstarrenden Aschbecher. Ich wälzte mich auf dem zerwühlten Laken, und Ärger stieg in mir hoch. Der Brief brachte mich auf.
    Wirklich, wenn es nichts Akutes ist, sondern zum Beispiel Syphilis, warum kommt er dann nicht her? Weshalb muß ich durch den Schneesturm zu ihm sausen? Soll ich ihn etwa an einem Abend von der Lues kurieren? Oder vom Speiseröhrenkrebs? Aber wie kann von Krebs die Rede sein? Er ist fünfundzwanzig, zwei Jahre jünger als ich. »Sehr schwer …« Sarkom?
    Ein dummer, hysterischer Brief. Ein Brief, der dem Empfänger Migräne verursacht. Da ist sie schon.
    Eine Schläfenader krampft sich zusammen. Morgen wachst du auf, dann zieht es von der Ader hinauf zum Scheitel, quetscht die eine Kopfhälfte zusammen, und du kannst zum Abend Pyramidon mit Coffein schlucken. Aber wie soll das im Schlitten mit dem Pyramidon werden? Ich muß mir vom Feldscher den Fahrpelz holen, sonst erfriere ich morgen in meinem Mantel. Was mag er haben? »Leuchtet mir noch ein Hoffnungsschimmer?« So etwas steht in Romanen, nicht aber in ernsthaften Arztbriefen!
    Schlafen, schlafen … Nicht mehr daran denken. Morgen wird alles klar. Morgen.
    Ich knipste den Schalter, und sogleich verschlang die Dunkelheit mein Zimmer. Schlafen … Die Ader schmerzt.
Aber ich darf dem Mann seines dummen Briefes wegen nicht böse sein, ehe ich weiß, was los ist. Er leidet, und da schreibt er an einen anderen. Na ja, wie er kann, wie er’s versteht. Unwürdig ist es, ihn auch nur in Gedanken für meine Migräne und meine Unruhe schlechtzumachen. Vielleicht ist der Brief auch gar nicht unaufrichtig oder verworren. Ich habe
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