Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im Karton

Der Mann im Karton

Titel: Der Mann im Karton
Autoren: Carter Brown
Vom Netzwerk:
1
     
    Eigentlich sah sie nicht wie
eine Sopranistin aus, aber das mochte an dem dicken Tweedkostüm liegen, das die für eine Primadonna unerläßliche Oberweite samt weiteren augenweidenden Kurven verbarg.
    »Ja, bitte?« fragte sie
atemlos.
    Ihre Stimmbänder waren ebenso
nervös wie ihre Augen. Die Tür hielt sie krampfhaft fest, offenbar bereit, sie
mir vor der Nase zuzuschlagen, wenn ich auch nur mit der Wimper zuckte.
    »Mein Name ist Danny Boyd«,
erklärte ich ihr. Dann wandte ich ein bißchen den Kopf, damit sie ungehinderten
Blick auf mein rechtes Profil erhielt und den fälligen Vergleich mit Adonis
anstellen konnte, der dabei natürlich immer den kürzeren zieht.
    »Wie bitte?«
    Ich sagte mir, daß ich’s an
ihrer blaugerahmten Brille hätte erkennen sollen — sie war derart kurzsichtig, daß
ihr mein Profil selbst auf diese kurze Distanz entging. Die dicken Gläser
vergrößerten ihre Augen zu zwei trüben Teichen, unter deren stiller Oberfläche
etwas Unaussprechliches lauem mußte.
    »Ich bin doch hoffentlich an
der richtigen Tür?« fragte ich zweifelnd. »Ich wollte zu Donna Alberta.«
    »O ja!« Sie nickte eifrig. »Ich
bin Helen Mills, ihre Sekretärin.«
    »Sie hat mich vor einer Stunde
angerufen«, erläuterte ich geduldig, »und mich gebeten, so schnell wie möglich
herzukommen.«
    Helen Mills blickte unschlüssig
drein — als sei sie sich nicht ganz klar, ob ich die Wahrheit sprach oder aber
doch nur ein Lustmolch war, der seine Morgengymnastik im Sinn hatte.
    »Ich werde nachfragen«, sagte
sie. »Warten Sie hier.«
    Die Tür krachte vor meiner Nase
ins Schloß, und ein paar Sekunden lang zürnte ich; zum Donnerwetter,
schließlich hatte ich selbst genug mit meinen eigenen Zwangsvorstellungen zu
tun, was also sollte ich mich noch mit denen von Helen Mills belasten... aber
dann stand die Tür plötzlich wieder offen, und der veränderte Gesichtsmuskel
verriet mir, daß meine Referenzen in Ordnung waren, auch wenn ich nicht ihrer
Kragenweite entsprach.
    »Miss Alberta erwartet Sie, Mr.
Boyd«, sagte sie, atemlos wie zuvor. »Bitte kommen Sie doch herein.«
    Drinnen sah ich mich aufmerksam
um, wie das der typische Amerikaner tut, der sich bewußt ist, daß er die
gleichen Chancen wie jeder andere Mitbürger besitzt, einmal so ein Apartment im Waldorf Astoria zu bewohnen. Die Zimmerflucht entsprach genau meinen
Vorstellungen, nur die beiden Figuren im Wohnzimmer störten ein wenig. Die Dame
heulte vernehmlich, und aus der Miene des Herrn schloß ich, daß Trübsal blasen
zu seinen Hobbys zählte.
    Die Dame mit dem wallenden
silberblonden Haar stufte ich als Donna Alberta ein. Sie trug eine Bluse aus
schwerer Seide, stahlblau wie ein Gewehrlauf, die sich über den wahrhaft
olympischen Gipfeln ihres Busens straff spannte. Ich sagte mir, wenn dies das
Ergebnis davon war, Arien zu singen, dann müßten alle weiblichen Wesen
veranlaßt werden, täglich ein paar Stunden zu singen — von früher Jugend an.
    Ein ebenso angespannter roter
Gürtel umschlang ihre zierliche Taille, und noch engere Torerohosen, rosa wie
Himbeereis, umhüllten die kurvenreichen Hüften und die sehenswerten langen
Beine bis an die Knöchel. Selbst in dieser, weiß Gott, verwöhnten Atmosphäre
war sie gewiß das Nonplusultra dessen, was ein Gast gerechterweise als Service
verlangen konnte.
    »Mr. Boyd«, schluchzte sie,
gleich in zwei Oktaven, »darf ich Ihnen Mr. Kasplin vorstellen? Er ist mein Manager.«
    Mr. Kasplin war kaum größer als ein Zwerg. Er saß in einem Sessel, und seine Füße baumelten
noch ein Stückchen über dem Fußboden. An ihm hätte wohl nicht mal eine Dame mit
überentwickelter Mütterlichkeit sonderlich Gefallen gefunden.
    Sein Kopf paßte freilich nicht zu seinen winzigen Proportionen, man konnte ihn sogar hübsch
nennen — mit den ebenmäßigen Zügen und den glänzenden pechschwarzen Haaren, die
über der hohen Stirn in natürlichen Wellen nach hinten flossen. Sein Mund
wirkte etwas verkniffen, und in seinen Augen stand der Abscheu des Liliputaners
für die Welt voll schwachsinniger Riesen, in der er wohl oder übel leben muß.
    »Nehmen Sie doch Platz, Mr.
Boyd«, sprach er mit seinem Vogelstimmchen. »Sicher möchten Sie gern erfahren,
weshalb Miss Alberta Sie hergebeten hat.«
    Ich setzte mich auf die Couch
den beiden gegenüber, während Helen Mills sich wie ein besseres Hausgespenst
hinter Donna Albertas Sessel verkroch.
    » Boyd Enterprises erledigen alles«, erklärte ich ihnen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher