Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt
Autoren: A Brandhorst
Vom Netzwerk:
Myriaden Blasen bildeten sich dort und platzten, wie von der Flamme der Schöpfung erhitzt, jede von ihnen kleiner als das, was man einst Planck-Länge genannt hatte, noch viel, viel kleiner als die Femtomaschinen, die, vom primären Uterus geschaffen, bereits in dieser Wiederherstellungsphase zu Millionen in Rahils Körper unterwegs waren, Zellverbände verstärkten und Organe mit Zusatzfunktionen ausstatteten. Jede einzelne Blase in diesem Schaum, der das Fundament alles Exis tierenden bildete, war ein eigenes Universum, durch eine interne inflationäre Phase aufgebläht. Ich sehe Geburt und Tod ganzer Kosmen, dachte Rahil mit einer Ergriffenheit, die ihn an seine Anfangszeit bei der Ägide erinnerte, und gleichzeitig fragte er sich, ob es seine eigenen, von den Femtomaschinen der Primären verbesserten Sinne waren, die den Quantenschaum sahen, oder ob der Kurator seine Wahrnehmung mit den Systemen der Station und des Uterus stimulierte.
    Rahil blinzelte, und das verwirrende Brodeln sowie die Linien des Gerüstes von Raum und Zeit verschwanden. Nur der Polarisator war zu sehen. Es befanden sich keine anderen Raumschiffe in der Nähe, weder in niedrigeren Umlaufbahnen um den Planeten noch in den Sprungsektoren des Sonnensystems. Hatten die Sekundären eine Interdiktionszone geschaffen, um weiteren Angriffen auf die Station der Ägide vorzubeugen?
    »Öffnen die Leskovar das Fraktal für mich allein?«, fragte er.
    »Ja«, bestätigte der Kurator.
    Rahil dachte an den Energieaufwand. Die Leskovar jonglierten dort draußen mit energetischen Ressourcen, die ausgereicht hätten, den Energiebedarf so mancher Gefallenen Welt auf Jahre hinaus zu decken. Und das alles nur für ihn.
    Nicht für mich, korrigierte er sich in Gedanken. Für die Mission der Ägide, die nicht scheitern darf.
    Seine Gedanken, noch unkontrolliert von Femtomaschinen und Rüstung, bewegten sich wieder in eine Richtung, die stärkere Emotionalität hervorrief. Eine Stunde, dachte er. »Ich möchte das Lied der Kosmischen Enzyklopädie hören«, sagte er. »Es beruhigt mich«, fügte er hinzu, was zumindest teilweise der Wahrheit entsprach.
    Etwas veränderte sich in seiner Wahrnehmung, und ein oder zwei Sekunden später drang ein melodisches Summen an Rahils wiederhergestellte Ohren, entfaltete fast sofort eine Komplexität, von der eine hypnotische Faszination ausging. Dies war der Gesang des Wissens, der von der Technik und den Erkenntnissen der Hohen Mächte erzählte, aber so gut codiert und verschlüsselt, dass es niemandem – weder den Experten und Maints von Ägide und Bruch-Gemeinschaft noch den Volontären, die sich hier und dort zu Dechiffrierungsgruppen zusammengeschlossen hatten – gelungen war, auch nur den Dateninhalt eines einzelnen Tons freizulegen.
    Rahil hörte die Klänge und dachte: Bald fällt die Entscheidung, ob wir Zugang zur Enzyklopädie und damit zu den kolossalen Wissensschätzen der Hohen Mächte bekommen. Ein zweiter, warnender Gedanke lautete: Wenn man diese Melodie zu oft hört, kann man süchtig danach werden.
    Die Aura des Planeten Ganska und seiner Monde bildete kein Schreien vor der kosmischen Hintergrundstrahlung, die das Lied in sich trug, und vor den Markierungsrufen der Bojen in den Sprungsektoren des Sonnensystems, aber ein lautes Flüstern, bestehend aus mehreren Billionen raunenden Stimmen – so viele smarte Geräte, Apparate, Instrumente, Maschinen und Maschinenintelligenzen sprachen dort miteinander, tauschten Meinungen und Bewertungen aus, analysierten Daten, schufen daraus neue Informationen, die ihrerseits Analysen erforderten, sondierten und philosophierten. Mit den Systemen der Station verbunden, hätte Rahil über die Femtomaschinen in seinem Innern jeder einzelnen dieser Stimmen lauschen können, und sie alle zusammen bildeten die Daten- und Kommunikationswolke, die den Planeten und seine Monde wie ein elektromagnetischer Schleier umgab. Aber so dicht und komplex die Aura auch sein mochte: Das Lied der Kosmischen Enzyklopädie war noch weitaus komplexer. Es beschränkte sich nicht auf eine Welt oder ein Sonnensystem, nicht einmal auf eine Galaxie – die Ägide vermutete, dass der Melodiencode der Enzyklopädie den ganzen Virgo-Superhaufen betraf, was bedeutete, dass man das Lied in etwa zweihundert Galaxienhaufen hörte, verstreut in einem Raumgebiet von über zweihundert Millionen Lichtjahren. Wie viele Welten gab es dort draußen, wie viele Zivilisationen, und wie viele – oder wie wenige –
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher