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Artefakt

Artefakt

Titel: Artefakt
Autoren: A Brandhorst
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sagte die Stimme. »Ich bin kein Schmied, aber vielleicht sollte ich die Dämpfung erhöhen, obwohl sie den Image-Transfer behindert.«
    »Nein! Ich will wissen, was geschehen ist!«
    »Bitte beruhigen Sie sich. Ihre Erinnerungen sind noch destrukturiert. Der Körper wächst schneller als die mentale Integrität. Aber in einer Stunde öffnet sich das Kickout, und dann müssen wir bereit sein. Dann müssen Sie bereit sein. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Die Lage auf Heraklon spitzt sich zu. Und die Krise betrifft nicht nur Heraklon, sondern einen großen Teil der Gefallenen Welten.«
    Erinnerungen kehrten zurück, während Rahils Gehirn weitere Image-Daten aufnahm. Die Mission, die wichtigste von allen. Vor sechshundert Jahren, nach dem Ereignis , hatten die Hohen Mächte der Menschheit eine letzte Chance gegeben: sechs Jahrhunderte, um zu beweisen, dass sie fähig war, zu Frieden und Reife zu finden. Als Lohn winkte Zugang zur Kosmischen Enzyklopädie, zum Wissen und zur Technik der Primären, der ältesten Zivilisationen des Universums. Heraklon, zur Welt des Friedens und der Diplomatie geworden, hatte diesen Beweis erbringen sollen, aber dann war das Artefakt erschienen, ein seltsames Objekt, offenbar mit primärer Technik ausgestattet, das Begehrlichkeiten bei den Autokraten und Despoten der Gefallenen Welten weckte. Rahil erinnerte sich nun: Er war als Missionar der Ägide nach Heraklon geschickt worden, um dort festzustellen, was es mit dem rätselhaften Artefakt auf sich hatte und wie die Gefahren, die es heraufbeschwor, neutralisiert werden konnten. Er erinnerte sich auch daran, ein direktes Eingreifen der Ägide vorgeschlagen zu haben, wie auch schon bei anderen Gelegenheiten, aber das Kuratorium hatte abgelehnt und war bei seiner Politik der Nichteinmischung geblieben, an der sich zwischen Rahil und seinen Einsatzleitern oft Konflikte entzündet hatten.
    Die wichtigste aller Missionen; von ihrem Erfolg oder Misserfolg hing die Zukunft der Menschheit ab.
    Und ich bin auf Heraklon gestorben, dachte Rahil. Jemand hat mich dort umgebracht, um zu verhindern, dass ich die Mission erfülle.
    Er zweifelte nicht daran, dass es einen Zusammenhang mit dem Angreifer gab, von dem der Kurator gesprochen hatte. Jemand wollte ihn töten, bevor er wieder richtig lebendig wurde. Jemand wollte, dass er nicht nach Heraklon zurückkehrte. Vielleicht verstand er mehr, wenn er alle memorialen Daten des Image empfangen hatte.
    »Sie schicken mich zurück, Kurator?«
    »In einer Stunde, Rahil Tennerit. Wenn es mir gelingt, die Wiederherstellung weiterhin stabil zu halten. Leider fehlen mir die Kenntnisse eines Schmieds. Ihre starken emotionalen Aktivitäten bedrohen die Integrität des Datenstroms zwischen Image und Uterus. Ich empfehle Ihnen dringend, sich auf neutrale Gedanken zu besinnen. Vielleicht wäre eine vollständige Dämpfung doch besser …«
    »Nein!« Eine Stunde, dachte Rahil. Dann kann ich mich ganz auf den Einsatz konzentrieren. Bis dahin, bis ich eine Rüstung bekomme und damit die Möglichkeit, meine Emotionen unter Kontrolle zu bringen, muss ich mich ablenken. Nicht zu denken ist falsch; an etwas zu denken ist besser. »Habe ich Augen? Lassen Sie mich sehen!«
    »Was möchten Sie sehen?«
    »Das Kickout«, sagte er. »Bitte zeigen Sie mir das Fraktal des Kickouts, während ich auf das Ende der Wiederherstellung warte.«
    2
    Draußen, in schwarzer Totenstille, öffnete sich eine goldene Blu me mit einem Durchmesser von hundertfünfzigtausend Kilometern, ihre Blütenblätter wie benetzt von fraktalem Tau, voller Muster, die wie dünnes Eis glänzten und sich im Kleinen wie im Großen ständig wiederholten. Neben dieser sich langsam entfaltenden Blume hing ein Schiff im All, klein im Vergleich mit dem Fraktal, das eine über viele Lichtjahre reichende Verbindung herstellte, aber riesig nach menschlichen Maßstäben: ein Polarisator der Leskovar – Sekundäre, die zu den Hohen Mächten zählten –, mit fast hundert Kilometern Länge ein Gigant und viel größer als die Station der Ägide am Rand des Schwerkrafttrichters, den Ganska und seine Monde mehrere Lichtsekunden entfernt ins Gewebe der Raumzeit stanzten. Wenn Rahil sich konzentrierte, sah er die gekrümmten Linien der Gravitationsfelder wie Seile, die Raum und Zeit zusammenhielten und durch den brodelnden Quantenschaum führten, in dem das Fraktal wurzelte, durch das Chaos aus Materie und Energie, die sich gegenseitig vernichteten und neu erschufen.
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