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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Autoren: Holger Senzel
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wenn sich an den realen Problemen nichts geändert hat. Wo du doch drei Monate intensiv an dir »gearbeitet« hast.
    Ich habe gelogen und betrogen und bin im Gefühlsleben anderer Menschen herumgetrampelt. Trotzdem hielt ich mich im Grunde meines Herzens für einen guten Kerl mit den besten Absichten. Die Therapie bewies den festen Willen, diesen anständigen Kern freizulegen. Ich tat ja was: Ich arbeitete an mir.
    Als ich kurz nach meinem 40. Geburtstag einen Nervenzusammenbruch erlitt, hielt ich das lange für die Krise in der Mitte des Lebens. Die Folge von Karriereknick und Trennung. Heute bin ich überzeugt, dass die berufliche Sackgasse und das Scheitern meiner Beziehung nicht der Anfang der Krise, sondern das Resultat dieses Prozesses waren, in dem ich mehr und mehr um mich selbst kreiste und am Ende meine Position völlig falsch einschätzte, und dass die Therapeuten meinen Weg in die Depression nicht nur begleitet, sondern mir geradezu geebnet
haben. Indem sie einen labilen Menschen, der Hilfe in der Psychotherapie suchte, darin bestärkten, sich etwas vorzumachen und ein falsches Selbstbild zu entwickeln.
    Ich unterscheide hier bewusst nicht zwischen verschiedenen Therapiemethoden. Ich bin kein Doktor – ich war der Kranke und blicke heute zurück auf zehn Jahre weitgehend nutzlose Therapie. Ich bezweifle, dass dies anders wäre, wenn ich außer geredet, gemalt und mich in der Gruppe ausgetauscht auch noch geknetet, getanzt oder Körpertherapie gemacht hätte, ob ambulant oder in der Klinik.
    So ganz passte es nie
    Ich fand die Sitzungen sehr vorhersehbar. Ich wusste genau, was ich sagen musste, um eine bestimmte Reaktion zu bekommen, es fand sich immer irgendeine Schublade. Nichts war falsch – aber so ganz passte es nie. Hallo, hören Sie mir überhaupt zu? Ich habe mich das oft gefragt, wenn der Therapeut oder die Therapeutin mich mit aufmunterndem Kopfnicken aufforderten fortzufahren und an den richtigen Stellen fragten, wie sich etwas für mich anfühlt. Ob er oder sie dabei nicht an seine abendliche Essenseinladung denkt? Und dass er oder sie noch Basilikum kaufen muss, weil diese Pasta ohne Basilikum fade schmeckt, und ein Barolo möglicherweise besser passt als ein Bordeaux … Manchmal habe ich Widersprüche eingebaut, um das zu testen – aber sie sind mir nie in die Falle gegangen. Gut – sie hören also wirklich zu. Aber haben sie auch verstanden, worum es geht?
    Es gibt keine guten und keine schlechten Erfahrungen – sondern nur wichtige. Welch ein Satz! Da muss man doch
in die Knie gehen vor Ehrfurcht. Ich verdanke meinen Therapeutinnen und Therapeuten – neben meiner Oma – einen großen Schatz an Weisheiten und Zitaten für alle Lebenslagen, die stets passten, aber oft am Kern vorbeigingen. Wir fanden immer die richtige Antwort, aber häufig auf die falsche Frage. Herr Senzel, vielleicht sollten Sie sich nicht immer fragen, was andere erwarten – sondern was Sie selbst wollen. Als ob ich das je vergessen hätte. Natürlich gab es da dieses Bedürfnis zu gefallen und geliebt zu werden, die Ängste und Selbstzweifel. Aber in Schwierigkeiten gebracht haben mich meistens Anmaßung, Überheblichkeit und Übermut. Mag sein, das sind zwei Seiten derselben Medaille. Aber muss ich denn wirklich immer wissen, warum ich ein Arschloch war – um damit aufhören zu können? Erklärungen sind oft Rechtfertigungen, sie nehmen ein Stück von der Last der Verantwortung. Und man kann darüber streiten, ob das Betrachten vergangener Niederlagen wirklich stark macht für neue Wege.
     
    »Das einzige Gefühl, das ich bei Ihnen spüre, ist Wut«, sagte Dr. B. einmal. Ich fühlte mich von ihm alleingelassen mit meinen Existenzängsten. Das Gespräch mit meinem Arbeitgeber stand bevor, es sollte um meinen Wiedereinstieg in den Beruf gehen. »Sind Sie sicher, dass Sie sich dem schon aussetzen wollen?« – Was heißt wollen, Herr Dr. B.?! Ich hatte keine Wahl! Und er hätte mir ja vielleicht auch ein bisschen helfen können. Mir die Angst nehmen – indem er dieses Gespräch mit mir vorbereitet. Ja, ich weiß, das ist nicht seine Baustelle. Aber wieso eigentlich nicht, und was soll ich dann hier?

    »Wissen Sie, dass Sie der einzige Patient sind, der sich nie mal von der Vertrauensschwester in den Arm nehmen lässt?!«
    »Und was sagt Ihnen das über mich?«
    »Ich frage mich einfach, warum es Ihnen so schwerfällt, irgendein Gefühl außer Wut zuzulassen. Trauer zum Beispiel…«
    »Ich bin nicht traurig!
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