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"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

"Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"

Titel: "Arschtritt" - Senzel, H: "Arschtritt"
Autoren: Holger Senzel
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Last, weil es mir wichtig ist, all das zu erzählen. Die Gelassenheit, mit der die Menschen hier auf den Terror reagieren: Wir alle – Christen, Moslems, Hindus, Weiße, Schwarze, Asiaten – sind Londoner und widerstehen gemeinsam der Bedrohung. »Ihr könnt uns unsere Lebensart nicht kaputtbomben«, sagt die Queen, und ich bin stolz und voller Bewunderung für sie und möchte, dass es alle erfahren, was in dieser tief getroffenen, aber ungebrochenen Stadt vor sich geht.
    Zwei Wochen lang habe ich beinahe rund um die Uhr berichtet. Fast 400 Mal war ich mit Reportagen und Live-Gesprächen auf Sendung. Es deprimiert mich, wenn ich zurückdenke an diese hektische, aufreibende, adrenalinschwangere Zeit und mit wie viel Energie, Souveränität und professionellem Stolz ich meinen Job gemacht habe. Weil es gerade mal ein Jahr her ist und doch so unendlich weit weg und irreal scheint. Heute bin ich nur noch kraftlos und unsicher. Wo ist sie geblieben – die Euphorie, mit der ich nach London kam? Mein Traumjob, seit ich als junger Lokalreporter im Nordhessischen über Kaninchenzüchter berichtete. Die Neugier auf dieses Land und seine Leute, die ich so liebe? Zurzeit wurstele mich so durch, mit lustloser Routine. Bin froh, dass mich niemand sieht, wenn ich zuweilen unrasiert und mit verquollenen Augen vor dem Mikro sitze. Ich habe Albträume, in denen der Premier zurücktritt oder Prinz Harry wieder Unfug anstellt und ich als Reporter peinlich versage. Mich live im Radio blamiere. Ich bin fahrig und unkonzentriert, und meine Gedanken verlieren sich ziellos im Nichts. Wenn das Telefon klingelt, erschrecke
ich. Ich zehre von dem Kapital, das ich aufgebaut habe, als ich »Holger Senzel – London« zur Marke etablierte. Wann wird es aufgebraucht sein? Wann werde ich einen kapitalen Fehler machen? Es ist brütend heiß draußen, aber mir schlottern die Glieder. Mir ist schlecht. Ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst habe: dass alles mit einem großen Knall zusammenbricht – oder dass es jetzt einfach immer so weitergeht …
    Einsam ist uncool
    Meiner Freundin erzähle ich nichts davon. Ich schäme mich. Britta lebt in Hamburg, und wir sehen uns etwa alle zwei Wochen. Inzwischen strengt mich das furchtbar an. Mich präsentabel herrichten, Blumen, Essen, Kino – das volle Programm. Den aufmerksamen Liebhaber geben statt mit dem Sixpack Bier vor dem Fernseher abhängen und den Sonntag im Bett verdösen. Wenn wir uns Montagmorgen verabschieden, fällt eine Last von mir ab. Der unbeschwerte Zauber der Verliebtheit ist bedrückendem Schweigen gewichen. Wir belauern uns, ich bin auf der Hut, wenn sie mich anspricht. Spüre den Groll, der sich auf Nebenkriegsschauplätzen entzündet. Britta vermisst die gemeinsame Perspektive, das ständige Pendeln zwischen Hamburg und London zermürbt sie. Mir ist es eigentlich ganz lieb so, aber das sage ich nicht. Ich weiche aus, drücke mich um Klarheit, fühle mich deshalb schuldig und nehme ihr das übel. Aber solange ich eine Freundin habe, muss ich mir wenigstens nicht eingestehen, wie einsam ich bin.
    Ja, ich bin einsam in London. Jetzt ist es raus. Ich mag das normalerweise nicht zugeben, nicht mal mir selbst
gegenüber – weil »einsam« das allerletzte Loserwort ist. Du kannst unglücklich, überfordert, depressiv sein – aber bitte nicht einsam.
    Ich bin einsam! Jetzt ist es raus. Ich würde das normalerweise nie zugeben, nicht mal mir selbst gegenüber – weil »einsam« das allerletzte Loserwort ist. Du kannst unglücklich, überfordert, depressiv sein – aber bitte nicht einsam.
    Ich telefoniere auch kaum noch mit meinen Freunden in Deutschland. Anfangs habe ich es genossen, wie sie mich um mein Leben in London beneideten. Swinging London – wo die Post abgeht und der Beat und das Leben toben und sich alle köstlich amüsieren. Alle – außer mir. Und dann sagen sie, dass sie jetzt leider auflegen müssen, weil am Elbestrand eine Grillparty steigt. Und Holger geht mit Tränen in den Augen zum Kühlschrank und holt sich ein Bier. Prost! Es ist nicht so, dass ich allein in der Bude hocken müsste. Es gibt schon Kollegen, mit denen ich ab und zu ausgehe. Ein paar Bier im Pub, Gespräche über Job, Land, Politik und Wetter – aber nichts Persönliches. Ich kann das im Moment nicht. Ich brauche nicht noch eine Theaterkulisse …
    Ich setze mich mit meinem eiskalten Bier auf den Balkon. Auf dem eisernen Gartentisch liegt der Vorabdruck der Robbie-Williams-Biografie Feel . Am Montag
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