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Die Dilettanten

Titel: Die Dilettanten
Autoren: Thomas Wieczorek
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Einleitung
    Seit der Finanzkrise ist alles anders: Der Turbokapitalismus hat fertig.
    Ob Union oder SPD, ja sogar Grüne und FDP: Niemand will mehr mit der eben noch von ihnen entfesselten Wirtschaftsform etwas zu tun haben und beruft sich auf die gerade noch als »total antiquiert«, als »Weicheier-System« verhöhnte oder als »DDR ohne Mauer« verhasste
Soziale Marktwirtschaft
. Ehrliche Arbeit war
out
, leistungsloses Einkommen
in.
Dass die Bevölkerung immer ärmer, die oberste Oberschicht immer reicher wird, galt selbst Linken noch als notwendiges Übel: »Der Kapitalismus ist ungerecht, aber er funktioniert«, lobte Gregor Gysi.
    Aber dann kam der Knall: Der Funke der US-Immobilienkrise wurde flugs zum globalen Steppenbrand – und prompt rufen die Neoliberalen nach dem Staat wie der Junkie nach dem Stoff. Plötzlich flehen die »Marktteilnehmer« ebenjenen Staat, dessen Einmischung sie sich bis dato als »sozialistischen Dirigismus« streng und arrogant verbeten haben, um Regulierung an, sprich: um Steuermilliarden. Resümee des Philosophen und Polit-Autors Robert Misik: »Der Neoliberalismus hat der Welt das größte globale Desaster seit Hitler und Stalin beschert. Tolle Bilanz.« 1
Rettungsschirm
avanciert zum heimlichen Unwort des Jahres, und sogar die marktversessene schwarz-rote Koalition begeht im Januar 2009 mit der Teilverstaatlichung der
Commerzbank
einen bis dato undenkbaren Tabubruch.
    Und derselbe Staat, der weder den Armen ein menschenwürdigesExistenzminimum noch dem Nachwuchs ein Minimum an Bildung zu sichern gedenkt, schüttet plötzlich das Milliardenfüllhorn über die Wirtschaft und ihre teilweise hochkriminellen Akteure aus. Selbstheilungskräfte des Marktes?
    Über Nacht erweist sich der unantastbare Neoliberalismus als banale Hellseherei mit gezinkten Tarotkarten und die Deregulierung als Blindekuhspiel auf Glatteis, als russisches Roulette, bei dem die Pistole allerdings immer auf das Volk gerichtet ist.
    Die Philosophien der Deregulierung und des Neoliberalismus in den westlichen Ländern sind tot.
    Joseph Stiglitz, Wirtschaftsnobelpreisträger, im Oktober 2008
    Besonders die Börsen-Analysten glänzen als marktradikale Blindschleichen: Obwohl mit »hochwissenschaftlichen« Zahlen, Daten, Fakten bis zum Abwinken versorgt, sagen sie Ende 2007 für 2008 einen durchschnittlichen DAX-Kurs von 8641 Punkten voraus – in Wahrheit liegt er mit 4779 Punkten um 45 Prozent niedriger. 2
    Als kein bisschen seriöser entpuppen sich auch die Wirtschafts-institute, die noch kurz vor Ausbruch der Krise das Hohelied auf die deregulierte entfesselte Marktwirtschaft singen: Neoliberale sind wie die antiken Auguren, nur dass die römischen Hellseher wohl überwiegend nach bestem Wissen und Gewissen tätig waren. Umso absurder, dass sich die Politik bei ihrem »Wettlauf der Pessimisten«
(Süddeutsche)
ausgerechnet auf diese Scharlatane beruft – allerdings nicht ohne Hintergedanken: Je schwärzer die »Prognose«, desto leichter der weitere Sozialabbau und desto strahlender das Regierungsbild, wenn es dann doch nicht so schlimm kommt.
    Natürlich wurde der Globalschlamassel nicht von ein paar besonders unfähigen Bundespolitikern verursacht. Aber selbst wenn das Unheil von den USA aus seinen Lauf rund um die Welt nahm: Dass dies »kein Mensch ahnen konnte«, ist eine der dreistesten Lügen dieser Tage. Beileibe nicht nur der frühere Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine oder der geläuterte Kapitalismuskritiker Heiner Geißler warnten schon dann vor dem entfesselten Kapitalismus, als für Peer Steinbrück die Heuschrecken noch »geradezu ein Segen für die Volkswirtschaft eines Landes« waren. So konnte etwa am 25. September 2006 im
Spiegel
-Artikel »Die Billionen-Bombe« sogar jeder Halbgebildete haarklein alles über Derivate, Immobilienkredite und Spekulationsblasen nachlesen, was später »völlig unerwartet« eintraf. 3 Schon deshalb kann man allen Mitwirkenden und Wegbereitern unter den Volksvertretern pauschal ein »Ungenügend« plus Schulverweis verpassen.
    Unkenntnis, Überforderung und Stümperei, so weit das Auge reicht: Altkanzler Helmut Schmidt konstatiert »eine unerhörte Fahrlässigkeit der politischen Klasse insgesamt, die sich leichtfertig auf die Illusion einer selbsttätigen Heilungskraft der Finanzmärkte verlassen hat, statt rechtzeitig einzugreifen«. 4 Und selbst Nobelpreisträger Paul Krugman sagt sehr höflich über die Kanzlerin und ihren Finanzminister: »Vielleicht
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