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Arkadien 03 - Arkadien fällt

Arkadien 03 - Arkadien fällt

Titel: Arkadien 03 - Arkadien fällt
Autoren: Kai Meyer
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gleich genauso gesehen? Sie stellen sich hin und halten eine Ansprache, reden ein bisschen über Anstand und Verantwortung, über Moral und das, was Sie für das Falsche und das Richtige halten. Aber Sie vertreten nur das Gesetz, und dieses Gesetz ist nicht unseres. Es ist im Norden gemacht worden, in Rom und Mailand und all den Städten, die reich geworden sind, indem sie das Land hier im Süden ausgebeutet haben. Ihr Gesetz ist das Gesetz des Siegers, und es ist überheblich, arrogant und es interessiert sich einen Scheiß dafür, wie die Menschen auf Sizilien jahrhundertelang überlebt haben. Mein Vater hat Verbrechen begangen, furchtbare Verbrechen, das ist richtig – aber muss ich deshalb werden wie er? Muss ich dieselben Fehler machen? Und erwarten Sie ernsthaft, dass ich meine Familie im Stich lasse und irgendwo neu anfange?«
    Quattrini hielt seinem Blick stand und lächelte. »Aber ich weiß doch, dass du selbst schon längst mit diesem Gedanken spielst. Was ist mit den hunderttausend Euro, die du abgehoben hast? Und den beiden Tickets für die Fähre? Eines für dich und eines für Rosa.« Sie schaute von ihm zu Rosa, blickte dann wieder entschieden in seine Augen. »Ja, Alessandro, ich weiß davon. Ich bin Richterin. Es gehört zu meinem Job, über diese Dinge Bescheid zu wissen.«
    Rosa berührte ihn an der Hand. »Ist das wahr?«
    Er hatte sich die Unterlippe aufgebissen, und sie hoffte nur, dass der Geschmack des Blutes nicht doch noch eine Verwandlung herbeiführen würde. Er senkte kurz den Blick, dann nickte er. »Nach allem, was im Palazzo passiert ist, Micheles Angriff auf dich und –« Er verlor den Faden, verstummte und begann von neuem. »Ich hab das Geld und die Tickets in einem Versteck deponiert. Für den Fall, dass wir keine andere Wahl mehr haben, als zu verschwinden.«
    »Und wann hättest du mir davon erzählt?«
    »Wenn es nötig geworden wäre. Es war nur für den Notfall gedacht. Falls irgendwann alles ganz schnell gehen muss.«
    Quattrini nickte. »Das ist die Wahrheit, Rosa. Die Tickets, die er gekauft hat, sind nicht datiert. Und sie sind auf dieselben Namen ausgestellt, die auch auf den falschen Pässen stehen, die er für euch beide hat anfertigen lassen. Bei einem äußerst begabten Fälscher aus Noto namens Paolo Vitale.«
    Alessandros Miene war wie versteinert.
    »Aber«, fuhr Quattrini fort, »das alles interessiert mich gar nicht so sehr. Auch nicht, wo du das Geld und die Papiere versteckt hast. Es beweist mir nur, dass du längst erkannt hast, wie es um euch steht. Dass du dir sehr wohl im Klaren darüber bist, dass ihr keine Chance habt, als capi eurer Clans zu überleben. Früher oder später wird jemand –«
    Sie wurde durch ein Quietschen unterbrochen, nicht besonders laut, aber durchdringend wie Kreide auf einer Schultafel. Das Geräusch drang von oben zu ihnen herab, vom Dachstuhl der Halle, acht Meter über ihnen, begleitet vom aufgebrachten Flattern der Tauben.
    Eine der metallenen Dachluken war mit kreischenden Scharnieren geöffnet worden. Vor dem hellen Rechteck des Himmels stand eine schmale Gestalt, eine Frau mit langem Haar.
    Als sie sich mit ausgebreiteten Armen in die Tiefe stürzte, sah Rosa, dass sie keine Kleidung trug.
    Noch in der Luft verformten sich ihre Glieder, braunes Gefieder zog sich über ihre Haut, die Füße krümmten und teilten sich zu Klauen so groß wie Heckenscheren.
    Als sie Quattrini erreichte und unter sich begrub, war aus der Frau eine riesige Eule geworden.

Harpyien
    D as Biest thronte mit ausgebreiteten Schwingen über Quattrini, warf den Kopf zurück und grub seinen Hakenschnabel knirschend ins Brustbein der Richterin.
    Alessandro ließ sich nach unten wegsacken und verschwand aus Rosas Blickfeld. Im nächsten Moment war er bereits zum Panther geworden. Fetzen seines schwarzen Anzugs segelten zu Boden, eine Pranke trat die Krawatte in den Staub. Er sprang nach vorn, rammte mit aller Kraft den Leib des Riesenvogels und riss ihn von Quattrini fort. Unter Gebrüll und wildem Flügelschlagen prallten Eule und Panther gegen die hohe Marienstatue, warfen sie um und wurden unter ihr begraben. Doch die Figur aus Gips und Sägespänen war nicht so schwer, wie sie aussah. Alessandro glitt bereits darunter hervor, während die Eule zwei, drei Sekunden länger brauchte, um ihre Schwingen zu befreien.
    Rosa hatte gerade entschieden, sich nicht zu verwandeln und sich stattdessen um die Richterin zu kümmern, als aus der Höhe ein erneuter
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