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Arkadien 03 - Arkadien fällt

Arkadien 03 - Arkadien fällt

Titel: Arkadien 03 - Arkadien fällt
Autoren: Kai Meyer
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heulten in Spalten und Klüften.
    An der Rückseite der Kirche nahm Antonio Festa sie in Empfang. Er hatte das Haar millimeterkurz rasiert. Eine Narbe begann unterhalb seines linken Auges und setzte sich auf Höhe der Braue fort. Seine rechte Hand ruhte unter seiner Jacke am Schulterhalfter. Rosa grüßte ihn knapp, Alessandro schwieg. Der eisige Blick zwischen ihm und dem Leibwächter klärte die Fronten.
    Hinter der Kirche befand sich ein zweiter Platz. Rechts wurde er durch die Mauer der Lagerhalle begrenzt, links durch das Gotteshaus; seine Stirnseite endete an einer Felswand. Aus einem Steinbecken in Brusthöhe plätscherte Bergquellwasser in ein größeres Becken am Boden. Davor kniete die Richterin, hatte die Hände gefaltet und den Blick gesenkt. Sie sprach ihr Gebet zu Ende, erhob sich und kam herüber. Alessandro reagierte kühl, aber höflich auf die Begrüßung. Rosa hoffte, dass es ihnen gelang, dieses Treffen zivilisiert über die Bühne zu bringen.
    Quattrini wies ihren Leibwächter an, draußen zu warten, dann führte sie Rosa und Alessandro durch einen Seiteneingang ins Innere der Lagerhalle. Festa sah nicht glücklich darüber aus, dass seine Schutzbefohlene mit den beiden allein sein wollte. Aber er fügte sich ihrem Befehl, zog demonstrativ die Waffe und ging hinaus, um die Zufahrtswege im Auge zu behalten.
    In der Halle roch es nach Sägespänen und Farbe. Unter Bahnen aus klarer Plastikfolie standen riesige Heiligenfiguren aus Holz und Pappmaché, aufgereiht wie eine schweigende Kompanie. Die meisten waren auf sänftenähnlichen Konstruktionen errichtet worden, manche bis zu drei Meter hoch, mit zum Himmel gewandtem Leidensblick und gefalteten Händen. Schon vom Eingang aus sah Rosa den gekreuzigten Heiland in mehrfacher Ausführung und vier Muttergottesfiguren, mal mit, mal ohne Kind; die meisten anderen erkannte sie nicht, vermutlich lokale Heilige, die die tiefgläubigen Menschen Siziliens während ihrer alljährlichen Mysterienprozessionen durch die Straßen trugen. Rosa hatte noch keinen dieser Festtage miterlebt, kannte sie nur aus Berichten im Fernsehen und aus Erzählungen. Tausende Menschen schoben sich dann im Gefolge der Statuen durch die geschmückten Gassen der Städte und Dörfer.
    »Ziemlich eindrucksvoll, nicht wahr?« Quattrini führte die beiden tiefer in die Halle der Heiligen. »Hier werden die Prozessionsfiguren aller umliegenden Ortschaften aufbewahrt.«
    »Warum in San Leo?«, fragte Rosa.
    »Wegen der Quelle. Ihrem Wasser wird seit Jahrhunderten eine heilende Wirkung nachgesagt. Vor Jahren war der Papst persönlich in San Leo und hat den Ort und seine Kirche geweiht. Seitdem reißen sich alle Nachbargemeinden darum, ihre Figuren hier lagern zu dürfen. Dafür nehmen sie sogar die langen Transportwege durch die Berge in Kauf. Für den Ort ist das eine gute Einnahmemöglichkeit.«
    »Hilft es denn?«, wollte Alessandro wissen.
    »Was?«
    »Das Wasser. Deswegen kommen Sie doch her. Sagen Sie nicht, Sie hätten es nicht schon ausprobiert.«
    Falls sein Tonfall Quattrini ärgerte, ließ sie sich nichts anmerken. »Ein paar Tropfen Wasser allein sind nicht genug, um eine Seele vor dem Fegefeuer zu bewahren. Nicht meine, nicht deine.« Ihre Hand berührte den Anhänger auf ihrer Brust.
    »Warum sind wir nun hier?« Rosa hatte keine Lust auf einen weiteren Streit der beiden. Die Szene im Leichenschauhaus war ihr lebhaft genug in Erinnerung. »Sie haben mein Gespräch im Gefängnis abgehört, oder? Falls der Hungrige Mann –«
    »Ihr nennt ihn tatsächlich noch immer so.« Quattrini presste die Lippen aufeinander, vielleicht ein humorloses Schmunzeln. »Es hat schon Bosse mit weniger klangvollen Spitznamen gegeben. Was aber das Abhören angeht: Ich könnte kein Wort davon vor Gericht verwenden.« Sie blieb am Fuß einer Madonnenfigur stehen, die unter ihrem durchsichtigen Plastikschleier beinahe doppelt so groß war wie sie selbst. »Ein Dokument des Justizministers verbietet mir, derart hochkarätige Gefangene ohne seine persönliche Genehmigung zu überwachen. Für manche Herren in der Regierung steht einiges auf dem Spiel, wenn ein ehemaliger capo dei capi schmutzige Wäsche wäscht.«
    Rosa konnte den Blick nicht von der riesenhaften Muttergottes abwenden. Irgendwo unter dem Hallendach gurrten Tauben. Flügel flatterten und schlugen gegen das Holzdach. »Sie haben es trotzdem getan.«
    Die Richterin nickte. »Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, dass wir hier auf Sizilien
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