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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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nicht zum ersten Mal, die mühsame Verschriftlichung meiner peinlichen Existenz.

    Wenn ich noch eine Chance sähe, Isa fertigzustellen, wäre hier Schluß, Beschränkung auf das Notwendigste, Rückkehr zur ursprünglichen Mitteilungsveranstaltung für Freunde und Bekannte in Echtzeit. Dafür war das gedacht. Aber funktioniert hat es nie. Statt alle Fragen zu beantworten und Zeit zu sparen, kostet es mir welche.

    19.4. 2013 17:30

    Ein Brief von meiner von mir als Erstklässler so sehr geliebten Lehrerin. Früher schon lange immer vergeblich versucht, sie zu finden, nach der Ehe mit Sergeant Waurich Mädchenname wieder angenommen, traurig, dreißig Jahre unauffindbar. Silberne Schrift auf blauem Briefpapier: Ich glaube, einige Großbuchstaben sofort wiedererkennen zu können, wahrscheinlich ein Irrtum, nach dreisekündigem Draufstarren, nach vierzig Jahren in einem dunklen Klassenraum für immer verschwunden.

    Peter ruft Flocki.

    Flocki kommt nicht.

    20.4. 2013 13:21

    C.s Vater hat endlich aufgehört zu atmen.

    Vor über einem Jahr ins Koma gefallen, rasch keine Hoffnung mehr, gegen den Wunsch der Angehörigen künstlich immer weiter am Leben erhalten, zahlreiche Versuche, ihn sterben zu lassen gescheitert und von der Heimleitung sabotiert, bis endlich ein Arzt die Maschine abstellt. Über Wochen immer wieder haben C. und ihre Geschwister im Schichtdienst neben dem Bett auf dem Boden campiert.

    21.4. 2013 13:15

    Von einer Freundin gehört, daß ihr in der Ausbildung im Hospiz beigebracht wurde, das Fenster im Zimmer der Gestorbenen zu öffnen, damit die Seele raus kann.

    Das hat mir gerade noch gefehlt, zu verrecken in einem Haus, das von offensichtlich Irren geleitet wird.

    “Auch bleib der Priester meinem Grabe fern; zwar sind es Worte, die der Wind verweht, doch will es sich nicht schicken, daß Protest gepredigt werde dem, was ich gewesen, indes ich ruh im Bann des ewgen Schweigens.” (Storm)

    23.4. 2013 12:15

    Von einem rückwärts einparken wollenden Auto am Robert-Koch-Platz vom Fahrrad gestoßen worden. Rad, Computertasche und ich liegen auf der Straße, jemand schreit. Ich. Vorgerannt, Fahrer Arschloch genannt, der Fahrer schreit, ich schreie, Beifahrerin steigt aus und brüllt, ich soll endlich mit Schreien aufhören und stattdessen das Fahrrad aufheben, man will in die Parklücke.

    Als ich sage, wir können auch die Polizei rufen, wird es ruhiger.

    Schiebe das Rad zurück, zuviel Angst vor Straßen. Erst zu Hause drauf gekommen, daß die Idioten mein Rad ja auch selbst hätten aufheben können, ich hatte es ja nicht freiwillig dahingeworfen.

    Ohne Waffe ist man kein ernstzunehmender Verkehrsteilnehmer. Ich will ein Springmesser. Wie ich es als Zwölfjähriger hatte. C. zeigt mir den Vogel.

    23.4. 2013 16:09

    Immer mühsamer das Sprechen. Satzteile finden nicht von selbst zueinander, ich benutze falsche Worte, ich umschreibe, was ich sagen will, Beim Schreiben hilft Google. Komplizierte Strukturen vermeide ich, vor Freunden schäme ich mich.

    24.4. 2013 17:30

    Kein Mensch am See, nur Ines in ihrem hellblauen Pullover vor schattigen Sträuchern, durch die Baumkronen schießen Sonnenpfeile.

    Ebenso unbekümmert wie zwanzig Jahre zuvor sitzt sie im Schlamm des Ufers, die nackten Füße ins Wasser gehängt. Auf einem trockenen Baumstumpf ich, zehn und fünfzehn Meter weiter, als wäre ich ein Maler, der ich damals tatsächlich auch noch war, und ich weiß, wie schön das war, wieviel Zeit verging, und wie jung wir einmal waren.

    Mein Gedächtnis stellt die Konkordanz vergleichbarer Szenen aus der Kunstgeschichte zusammen, lauter tote Objekte, lauter tote Maler. Ob ein Baum, den Corot malte, heute noch steht?

    Mit Ines am Kanal weiter durch Natur, Mond im Osten, Sonne im Westen, Brombeeren, wilde Johannisbeeren, Himbeere. Bei der Himbeere sind wir nicht sicher, müßte man später noch einmal nachgucken. Ja, sagt Ines.

    30.4. 2013 20:45

    Was mit mir los ist, weiß ich nicht. Depression ist es nicht. Wobei ich auch nicht weiß, wie Depression sich anfühlt. Ich habe in meinem Leben noch nie eine gehabt. Der ganz große Spezialist bin ich also nicht. Aber die anderen, die ich kannte, sahen anders aus. Dafür geht es mir meiner Vorstellung nach noch zu gut. Aber wenn es keine Depression ist – was ist es dann?

    30.4. 2013 21:18

    Die Krebskur nach Rudolf Breuss richtig gemacht!
    Wenn das Lächeln meine Seele streichelt
    Was ich mir wünsche ist ein Clown
    Ich mal mir ein Tor zum
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