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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Unfreiwillig rücklings wieder reingefallen. Nochmal und nochmal. Mußte mir niemand helfen. War auch keiner da. Körperlich gleich besser ohne Chemo.

    Durch den Waldweg aus Holz und Harz: Ein langvergessener Geruch. Das sind die seit 40 Jahren abgehackten Lärchen im Garten meiner Großmutter.

    Ampel Seestraße. Zwei Läufer strahle ich breit an, kurz davor, ihnen mitzuteilen, wie groß mein Glück heute ist.

    16.7. 2013 20:15

    Mit C. im Deichgraf.

    Nächster Versuch, meinen Nihilismus in der Öffentlichkeit zu beweisen und festzumachen.

    Es gibt uns nicht. Wir sind schon vergangen.

    17.7. 2013 18:11

    Ulrike, die ich eine Ewigkeit nicht sah, entdeckt in meinem Regal die taiwanische Ausgabe von Tschick und liest mir den ersten Satz vor.

    Als erstes ist da der Geruch von Blut und Kaffee.

    19.7. 2013 8:12

    Am liebsten das Grab in dem kleinen Friedhof im Grunewald, wo auch Nico liegt. Und, wenn es nicht vermessen ist, vielleicht ein ganz kleines aus zwei T-Schienen stümperhaft zusammengeschweißtes Metallkreuz mit Blick aufs Wasser, dort, wo ich starb.

Zweiundvierzig : 

    20. 7. 2013 16:07

    C. und Caroline kommen, um mir beim Blog zu helfen.

    21. 7. 2013 15: 30

    Passig kommt, um mir beim Blog zu helfen.

    Beim Gespräch über eine später zu ändernde Stelle aus dem Juni 2010:

    WH: “Ich weiß noch, daß du froh warst, über Flitter …”
    KP: “Was?”
    WH: “Ich kann es nicht mehr sagen.”
    KP: “Und ich hab es vergessen. So muß das Leben im Altersheim sein.”
    WH: “Schreib das auf, das kommt ins Blog.”

    Während Passig schreibt, lese ich mit.

    WH: “Das hab ich nicht gesagt.”
    KP: “Doch, du hast Flitter gesagt.”

    Ich verlange, daß irgendwas aufgeschrieben wird, aber während des Aufschreibens vergißt Passig die Pointe.

    23.7.2013 21:00

    Die Libelle, die ich gestern am Terrassenfenster sah und der ich den Weg ins Freie mehrfach gewiesene hatte, bis sie für mich nicht mehr zu finden war.

    Jetzt liegt sie auf den Fliesen. Ich beobachte das Wunderwerk auf dem Boden. Es liegt in den letzen Zügen. Nur ein Beinchen zuckt noch. Oder auch nicht. Ich trage das Insekt vorsichtig in eine windgeschützte Ecke der Terrasse. Ich plaziere einen winzigen Wassertropfen nah an seinen Mund und beobachte lange die vielleicht nur noch vom Wind bewegten Arme.

    Sie ist tot.

    Ich schiebe den Leichnam in eine Streichholzschachtel. Mit C. bestatte ich die Libelle am Ufer.

    27.7.2013 14:00

    Marcus, Passig, letzte Fragen zum Blog für Rowohlt. Passig liest die ersten zwei Kapitel von Isa laut vor. Die hab ich noch nie gehört, die anderen auch nicht. Gut finden sie’s.

    Ich schreie und schreie und heule und tobe, und dann ist es vorbei.

    C. kennt’s auch. Sie kommt morgen, um mir das kaputte Material vorzulesen.

    29.7.2013 20:16

    Schwüle und Regen den ganzen Tag.

    Ines erinnert sich an vor zwanzig Jahren, genau wie auch ich.

    Natürlich als erstes Das Fliegenpapier, aber dann sofort mir immer das Liebste gewesen: Hellkörigkeit.

    2.8. 2013 20: 7:16

    im See zwei Schwimmer, einer davon ich.

    2.8. 2013 20:18:00

    Lars liest mir Isa vor.

    2.8. 2013 20:21

    Jeden Abend der gleiche Kampf. Laß mich gehen, nein, laß mich gehen, nein. Laß mich.

    4.8. 2013 14:51

    Ich kann nichts schreiben, nicht lesen, kein Wort.

    Ich will spazieren. Wo will ich hin. Den ganzen Winter habe ichs gefunden.

    4.8. 18:10

    Stundenlang Epilepsie, den Namen von C. vergessen. Die anderen in ihrer Wohnung kenne ich auch nicht, weil ich sie nicht angesehen habe, aus Angst, auch ihre Namen nicht zu wissen.

    5.8. 2013 19:42

    Westhafen. Mit Ines zum Kanal. Im Wald schnell Dämmerung, keine Johannisbeeren, dafür Brommbeersträucher wie vor Monaten. Liegen bis in die Nacht am Ufer unter Sternen. Ihre Kinder, Mäckeritzbrücke, Saatwinkler Damm, Italien, Taxi.

    11.8. 2013 12:01

    August, September, Oktober, November, Dezember, Schnee
    Jeder Morgen, jeder Abend. Ich bin sehr zu viel.

    17.8. 2013 17:00

    C. liest mir Isa vor.

    18.08.2013 17:30

    Stundenlang Regen. Niemand am See, nur der Bademeister.

    19.08.2013 11:00

    Passig und Marcus kommen. Lesen Isa, halten es für machbar.

    20.8.2013 14.00

    Almut.

Schluss : 

    Wolfgang Herrndorf hat sich am Montag, den 26. August 2013 gegen 23.15 Uhr am Ufer des Hohenzollernkanals erschossen.
       
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