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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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enden.

    19.3. 2013 10:17

    Und es schneit. Zu Fuß die vier Kilometer zu Dr. Fünf am Kanal lang. Wege teils geräumt, teils jungfräulich. Ich trample über die aufgetürmten Seitenränder, ich nehme jede Abkürzung, rutsche über die Uferböschung hinab, ich stapfe durch die größten Wehen wie ein Fünfjähriger, Gedanke immer: Es ist vielleicht das letzte Mal, das letzte Mal, vielleicht ist es das letzte Mal. Das habe ich bei den Schuhen allerdings auch schon gedacht. Die letzten Schuhe, die letzte Hose, die letzten Johannisbeeren.

    Zwischen Hauptbahnhof und Psychiatrie hindurch. Der Schnee pappt. Im Laufen mache ich einen Schneeball und werfe ihn mit einer halben Drehung nach einem Laternenmast, an dem ich gerade vorbeigegangen bin, um herauszufinden, ob ich zu den 0,5 % Zehn-Jahre-Überlebenden gehöre. Ein Meter vorbei. Man hat nur einen Versuch, oder? Oder darf ich nochmal? Nein, wie im richtigen Leben, immer nur einmal.

    20.3. 2013 4:42

    Traum: Meine Freunde haben zusammengelegt und mir ein Cabrio geschenkt. Am Morgen steht es im großen Zimmer wie in einem Autosalon. Kein Alfa, aber genau das Modell, das ich im Sinn hatte, als ich die Szene des Wüstenromans schrieb, wo die vier Idioten Cetrois verfolgen, cremefarben, rote Sitze.

    Ich frage mich, wie meine Freunde das Auto in meine Wohnung gekriegt haben. Sie müssen es unten auseinandergeschraubt, Teil für Teil mit dem Fahrstuhl hochgefahren und in meiner Wohnung wieder zusammengesetzt haben. Ich freue mich sehr darüber, auch wenn ich nicht weiß, wie ich es wieder auf die Straße kriegen soll. Es wird wahrscheinlich hierbleiben müssen, was mich nicht beunruhigt, da ich als Epileptiker ja sowieso nicht mehr fahren darf. Und nach einer Weile des Freuens fällt mir auch ein, wie ich doch damit fahren kann: Vorsichtig bis zur Wand, dann im Rückwärtsgang zur anderen Wand und immer hin und her. Mein erstes Auto.

Achtunddreißig : 

    21.3. 2013 12:57

    Ich bin nicht auf Facebook, ich war nie auf Facebook, ich werde nie auf Facebook sein. Unbelehrbarer Betreiber der in diesem verrotteten Drecksladen unter meinem Namen erstellten Seite ist der Hamburger Internetirre Gerhard Bangen. Nur so zur Information.

    25.3. 2013 13:50

    Auf dem vereisten Kanalufer nach Mitte zum MRT. Hinterm Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie zwischen Invalidenfriedhof und Naturkundemuseum:

    GESUCHT!!!

    Am 09.03. 2013 ist unsere Hündin in Berlin-Mitte entlaufen. Sie hört auf den Namen Pupsi und hat eine Schulterhöhe von ungefähr 42 cm und ist 6 Jahre alt. Unsere Pupsi ist krank und braucht dringend ihre Medikamente. Die kleine Maus hat am rechten Oberschenkel eine lange Narbe. Sie könnte auch noch ihr Halsband und Leine haben. Pupsi ist eine ganz liebe, aber ängstliche Hündin.

    Essen beim Thai, Apotheke, Arbeit, Warten. Ein oder zwei Tage schreibt der Radiologe an dem Befund, das Ergebnis erfahre ich Donnerstag von Dr. Vier. Das ist Standard. Nur wenn es einen auf den Bildern auf Anhieb erkennbaren und sofortiges Eingreifen erfordenden Notfall gibt, kriege ich einen Anruf. Ich arbeite.

    25.3. 2013 15:50

    Telefonat mit C., der ich nichts gesagt hatte und der ich auf die Frage, was ich den ganzen Tag gemacht hätte, nun das MRT gestehen muß. Aber kein Problem, sage ich. Wenn was wäre, hätte ich doch Bescheid, Praxisschluß war ja schon, behaupte ich.

    Erst spät sehe ich das rote Blinklicht auf dem Telefon, fünf Anrufe während meiner Abwesenheit: Mutter, C., eine Münchner Vorwahl, Berlin und noch was Unbekanntes. Ich vergleiche die Nummern im Display mit der Nummer der radiologischen Praxis: Nein, der Radiologe hat nicht angerufen. Ich kontrolliere die Nummern noch einmal und der Akalkulie halber noch einmal. Ein Rest Unsicherheit bleibt.

    Nach einer nicht ganz kleinen Weile komme ich auf die Idee, die Nummern zurückzurufen. München behauptet, nicht angerufen zu haben und kennt mich nicht. Der Unbekannte nimmt nicht ab, und unter Berlin meldet sich der Anrufbeantworter der onkologischen Praxis. Sie rufen außerhalb unserer Sprechzeiten an.

    Ich könnte jetzt natürlich die Notfallrufnummer der Gemeinschaftspraxis meiner drei Onkologen anrufen und alle verrückt machen, am meisten mich. Wenn was passiert wäre, hätte man mich doch sicher ein zweites Mal angerufen. In der Nacht schlafe ich wie immer. Erst am Morgen wird mir mulmig, die Praxis öffnet um halb neun. Um 8:31 geht jemand ans Telefon: Nein, wir haben Sie nicht angerufen, nein, eine
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