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Arbeit und Struktur - Der Blog

Arbeit und Struktur - Der Blog

Titel: Arbeit und Struktur - Der Blog
Autoren: Wolfgang Herrndorf
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Himmel
    Fliege nicht eher als bis dir Federn gewachsen sind
    Wie ein Schiff im Sturm
    Morgen bin ich wieder da
    Und trotzdem mal ich mir ein Lächeln ins Gesicht
    Arbeit und Struktur

    7.5. 3013 18:30

    Seit einer Ewigkeit wieder einmal ein Versuch, zwei Personen zugleich zu treffen, Per und Cornelius, geht doch.

    Wenn ich mich auch ins Gespräch einschalten will, muß ich kurz die Hand heben, um für mich um Ruhe zu bitten

    Einmal muß ich einen kurzen Spaziergang machen, weil die Stimmen überhandnehmen. Gegenüber das Friedrich-Krause-Ufer ist hunderte Meter fliederbewachsen.

    Zurück im Deichgraf weiter über den Alexanderroman, über Bessing, Pers Tochter, Flieder und Gespenster.

    Über den Alexanderroman, von dem ich noch nie gehört hatte, das neben der Bibel im Mittelalter am weitesten verbreitete Buch in Europa.

    Über Pers Tochter, die Schwimmen lernen muß, was alle anderen im Kindergarten schon können, und wie sie weinend aus dem Wasser steigt, nicht weil die anderen über sie lachen, im Gegenteil sie sie anfeuern, was sie dem Vater gegenüber gleich als das eigentliche Gefühl der Demütungssituation verbalisieren konnte: nicht nicht schwimmen zu können, sondern die Scham, von allen angefeuert zu werden, die Scham, in den Augen der anderen bedürftig zu sein.

    Alexa, Bessings Buch, über Tristesse Royale nochmal und wie Bessing in einer Unterhaltung mit Cornelius immer seinen Bauch streichelt, seinen, wie Cornelius zugibt, schön flachen Bauch, den unablässig zu streicheln, wie Bessing erklärt, so schön sei, während ja im Gegensatz dazu Cornelius’ Bauch nicht so schön sei, wie Bessing, Cornelius’ T-Shirt aufhebend, feststellt, dies sei ja nicht so schön, eine weiße Schweineplautze.

    Ein schöner Tag an einem schönen Tag.

    8.5. 2013 10:36

    Der zehnte Zyklus Bevacizumab wird in der Natur ambulant in rasender Fahrt gegeben.

    9.5. 2013

    Mit einer jungen Frau gehe ich hinter den Fabriken auf dem Trampelpfad am Kanal spazieren, wo man immer in Gefahr ist, ins Wasser zu fallen. Wir gehen lange, dann haben wir Hunger und suchen einen Burger King. Ich warte vor der Tür und sage, sie solle schon mal Pommes mit Ketchup für mich bestellen. An der Blicken der anderen Gäste erkenne ich, wie schön sie ist. Es ist Edie Sedgwick. Mein schlechtes Englisch läßt das Gespräch stocken, doch nach nur zwei oder drei Stunden hat sie Deutsch gelernt. Beim Essen streichelt sie meinen Arm, beim Erwachen fällt mir ein, daß sie tot ist seit 1971.

    21.5. 2013

    Dramatischer Sprachverfall. Unklar, ob die Worte schon schwinden, oder ob nur Streß. Denn immer wieder gelingen fast fehlerfreie Sätze. Hauptsächlicher Bestandteil, wenn ich das richtig sehe: der Gedanke, Isa nicht fertigstellen zu können. Spätestens letzten Sommer wäre es da gewesen. Zuletzt immer noch manchmal zunehmend schlapp Tage gearbeitet, Material längst genug, kann ich nicht mehr, wird nichts.

    Jeder Satz im Blog mit größter Mühe zusammengeschraubt. Freunde korrigieren. Mein häufigster Satz in Unterhaltungen: Was ist, was ich sagen will, nicht das, das andere Wort, das ohne mit dem, so was Ähnliches, das, ja, nein, lateinische Wurzel, ja -

Vierzig : 

    24.5. 2013 20:58

    In der Bergstraße beim Kicken zugesehen, mußte die Augen bedecken. Einen ins Aus geschossenen Ball zurück geschossen. Hinterher ein Neuer, der fragt, ob ich ihn kennte. Nein. Oder doch. Auf einer Lesung 2007 im Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg war er einer von drei zahlenden Gästen. Mit ihm, seiner Freundin, einer Bekannten von mir und dem Veranstalter dann noch trinken, schöner Abend. Später habe ich ihn auch noch einmal bei einer Lesung in Kreuzbung getroffen (und auch erkannt), zufällig hat es ihn nun nach Berlin und in meine ehemalige Mannschaft gespült, guter Spieler, wie eigenartig. Und wie traurig das Gefühl, nicht mehr mitspielen zu können. Auf dem Weg zum Supermarkt laufe ich in mäßigem Dauerlauf fünfzig Meter, das geht, hundert nicht mehr.

    31.5. 2013 16:16

    Selbstmedikamentiert mit 5 mg Frisium zusätzlich, seit vielen Tagen keine Sprache mehr, Arbeit am Text reiner Unsinn, Worte, Fehler, Suche, Hilfe, Trauer, Sprache mündlich gar nicht. Stimme, Stimmen, Epilepsie von Panik alles nicht unterscheidbar. Dann ist Land wieder da, dann sinke ich zurück, ein Riesenirrsinn, jeden Tag, jeder Tag.

    In C.s Gegenwart aushaltbar. Immer wieder schöne Tage. Ich vergesse das immer. Ich habe es mir aufgeschrieben, um es nicht
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