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Applaus für eine Leiche

Applaus für eine Leiche

Titel: Applaus für eine Leiche
Autoren: Léo Malet
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Der Zweck heiligt die Mittel. Auf jeden Fall würde die schon erwähnte Moral das letzte Wort in der Geschichte haben... Durchs Schlüsselloch konnte ich nichts sehen, da es keines gab. Alle Ritzen und Löcher waren abgedichtet. Ich richtete mich wieder auf. Mein Blick fiel auf die Nachbartür, an der ein Zettel hing. Darauf stand der Titel der Produktion, Sumpfblüte, und der Name des Kameramanns: Lucien Aulagnier. Geräuschlos öffnete ich die abgedichtete Tür.
    Der fensterlose Raum wäre völlig dunkel gewesen ohne das schwache Licht, das durch eine halboffene und zur Hälfte verglaste Verbindungstür aus dem Nebenzimmer drang.
    Durch die schmutzigen Scheiben der Tür konnte ich das Training des Kameramanns für irgendeine Goldmedaille im Langstreckengehen beobachten. Ich erkannte den Kerl sofort wieder. In Hemdsärmeln ging er aufgeregt im Nebenzimmer auf und ab, wobei er offensichtlich einen einmal gewählten Parcours einhielt. Jedesmal nämlich, wenn er auf eine bestimmte Stelle trat, stöhnte die Bohle unter seinem Gewicht auf. Das Geräusch schien den Mann nicht zu stören. Er hatte andere Sorgen.
    Ich habe schon viele sorgenvolle Menschen gesehen. Zum Beispiel mich selbst, im Spiegel, mit meinem letzten Steuerbescheid in der Hand. Doch so viele Sorgenfalten wie in dem Gesicht dieses Mannes im Nebenzimmer sind mir noch nicht begegnet.
    Lucien Aulagnier war völlig verzweifelt. Das wenige, was ich von seinem Gesicht sah, drückte tiefe Niedergeschlagenheit und auch ein wenig Angst aus. Sein Mund zuckte nervös. Gierig sog er den Rauch einer Zigarette ein, die er halb aufgeraucht hatte. Die ausgetretenen Kippen auf dem Boden zeugten von einem beachtlichen Zigarettenkonsum.
    Unruhig sah ich mich nach seiner Weste um. Schließlich entdeckte ich sie. Sie lag über einer Stuhllehne in dem Raum, in dem ich Posten bezogen hatte. Ich schob meine Hand in die äußere rechte Tasche und zog sie wieder heraus, zusammen mit einem runden Gegenstand in einer Lederhülle mit Reißverschluß. Zufrieden stellte ich fest, daß der Fund das Gesuchte war, und verbarg ihn in meiner rechten Hand hinter dem Rücken.
    Ich fand, daß jetzt die Zeit gekommen war, mich zu zeigen. Ich öffnete die Verbindungstür und lehnte mich gegen den Rahmen. Alles verlief ganz geräuschlos. Ich mußte nur den Knauf drehen, und die Türangeln waren gut geölt. Der Moment, den ich gewählt hatte, war gut gewählt. Der Kameramann drehte mir den Rücken zu. Erst als er die Richtung wechselte, erblickte er mich. Da sein Kopf sorgenvoll auf die Brust gesunken war, sahen seine Augen zunächst meine Schuhe, wanderten dann an meinem Körper hoch und kreuzten schließlich meinen Blick. Erst jetzt erschreckte sich Lucien Aulagnier.
    „Wer... Wer sind Sie?“ schrie er. „Und... was tun Sie hier?“
    „Der Heilige Antonius von Padua“, antwortete ich lächelnd auf seine erste Frage. „Nervös?“ fügte ich voller Anteilnahme hinzu. „Wissen Sie, warum Sie so nervös sind? Weil Sie etwas verlegt haben. Ein Bandmaß zum Beispiel...“

    * * *

    Ich zeigte ihm den runden Gegenstand in der Lederhülle.
    Der Kameramann zog eine Grimasse. Sein blasses Gesicht wurde aschfahl. Mehr vom Instinkt als vom Verstand geleitet, stürzte er sich auf mich. Seine Absicht war eindeutig: Er wollte mir das Bandmaß entreißen.
    Ich nahm meine Trophäe schnell in die linke Hand und schlug dem Angreifer mit der freigewordenen Rechten ins Gesicht, was seinen aufschlußreichen Eroberungsversuch bremste. Mein Schlag traf Nase, Lippen und die dazwischen hängende Zigarette.
    Ein gelungener Gag!
    Funken sprühten, Papier knisterte. Lucien Aulagnier wich unter meinen mäßigen, aber regelmäßigen Schlägen zurück. Sein Gesicht wurde nach und nach von einer interessanten Schminkmischung bedeckt: Tabakkrümel am Kinn, Zigarettenasche an der Wange und Blut an der Nase.
    Im Zurückweichen stieß er mit den Kniekehlen gegen ein Hindernis. Seufzend ließ er sich auf den Stuhl fallen. Er hatte sich ohne die geringste Gegenwehr verdreschen lassen. Sein unvermittelter Reflex war ebenso unbewußt wie — er ahnte es, hatte es sofort geahnt — unnütz gewesen. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Tabak, Asche und Blut verteilten sich gleichmäßig. Hinzu kam noch der Schweiß, der ihm über Stirn und Schläfen rann. Seine Hundeaugen sahen mich verzweifelt an.
    „Und nun?“ stieß er hervor. „War das unbedingt nötig? Los, lochen Sie mich ein! Worauf warten Sie noch?“
    „Ich will
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