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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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räumten das Haus mit all ihren Siebensachen, auch der Nähmaschine. Weil sie sich doch nicht im Bösen trennen wollten nach all den Jahren, fertigte Luise Auguste meiner Großmutter noch ein sehr hübsches kariertes Kleid aus der nationalsozialistischen Bettwäsche vom Reichsarbeitsdienst mit einem Glockenrock und enger Taille, und meine Mutter Marianne bekam ein ebensolches Kleid für die Schule mit einer passenden Propellerschleife für das Haar.
    Denn das musste man den Ruhrpottwitwen lassen: Nähen konnten sie wie die Teufel.
    Als die Witwen ausgezogen waren und all ihre Truhen und Schränke und auch noch die letzte Kiste mit Zwirn und Stopfnadeln fort waren und sie den Boden ausgefegt hatten, da freute Apollonia sich und überlegte, wo sie jetzt der Marianne ein Bett hinstellen könnte. Sie sollte zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Zimmer bekommen. Die alte, bleiche Mutter Kathrein sollte wieder hinauf in den ersten Stock, wo sie früher gelebt hatte. Doch als man sie mitsamt ihrem Bett hinaufschaffen wollte, da ging es dieser auf einmal so schlecht, dass sie sich den Leib halten musste mit dem herausgefallenen Untenherum, und durch die Bewegungen auf der Treppe war das Untenherum vielleicht noch mehr durcheinandergeraten. Jedenfalls ging es ihr von Stund an schlechter, und man musste Hanna und Klarissa holen und den jungen Dr. Samstag, und kaum dass der nach ihr geguckt und ihr Kräuterlikör aufgeschrieben hatte, also kaum eine Woche, nachdem die Ruhrpottwitwen ausgezogen waren und als es gar nicht mehr nötig gewesen wäre, da starb die alte Mutter Kathrein.
    Für meine Großeltern aber begann eine paradiesische Zeit, sie hatten ein Schlafzimmer und eine gute Stube, und Marianne hatte ein Zimmer, und dann hatten sie ein Zimmer für die Wäsche, und noch eines, da wussten sie gar nichts mit anzufangen. So eine Freude! Man war wieder Herr im eigenen Haus! Am glücklichsten aber war meine Mutter Marianne, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein eigenes Zimmer hatte und ein eigenes Bett, und das, so sagte sie, war für sie ein Königreich.
    In Scholmerbach kehrte der Frieden wieder ein, und der Krieg sollte wie ein entsetzlicher, immerwährender Schrecken im Gedächtnis des Dorfes bleiben. Waren nun endlich auch Schorschens Friedhelm und Schamsens Siegfried und der junge Ferdinands Gregor aus der Gefangenschaft entlassen und die Verwundeten heimgekehrt, so kam schließlich eines Tages auch Heinrich wieder zurück. Man hatte sich schon gefragt, wo er geblieben war.
    Als Heinrich zurückkehrte nach Scholmerbach, trug er keine tiefschwarze Uniform mehr mit einem Totenkopf am Kragen, sondern eine braune Strickjacke und ein kariertes Hemd und eine Hose mit Hosenträgern, und dann hat man ihn gesehen, wie er stumm wieder gearbeitet und hinter dem Haus den stinkenden Ziegenstall ausgemistet hat.
    Man musste sich fragen, wo er sich herumgetrieben hatte und ob ihn vielleicht die Amerikaner am Schlafittchen gehabt hatten. Einer wie er, der in der SS gewesen war, den suchten die doch. Der hatte doch im Lager, in irgendeinem Arbeitslager in Bayern, gearbeitet.
    Wenn es aber so ein Lager war, wie es einem die Amerikaner gezeigt hatten, bevor die Filme liefen im Saal von Honiels oder im Kino von Ellingen, dann wäre es ja eine fürchterliche Sache, wenn Heinrich da mitgetan hätte … Das konnte sich ja keiner vorstellen, dass ein Mensch zu so was fähig war, Heinrich, das ist doch nicht wahr! Aber es musste das Lager gewesen sei, das da immer in den Filmen gezeigt wurde, das Lager bei München, mit einem Dach oder so ähnlich, wo sie die abgemagerten Elendsgestalten zu Tausenden gefunden hatten, da verstand man die Welt nicht mehr, da fiel man vom Glauben ab, genau dort war Heinrich doch gewesen! Und es wurde allen anders, ganz anders, und sie wollten es nicht begreifen. Wenn einer wie Heinrich da mitgemacht hatte, dann war ja ein fürchterliches Scheusal aus ihm geworden, ein Unmensch, ein Menschenschinder und ein Mörder und ein Drecksmensch, der Schlimmsten einer, da grauste es einem in der Seele.
    Aber Heinrich sagte, man soll ihn in Ruhe lassen, er hat nur Befehle ausgeführt und er lässt sich von keinem anprangern. Im Krieg war das nun mal so, er ist nicht verurteilt, man hat ihm nichts nachgewiesen, sie haben ihm keinen Prozess gemacht.
    – Aber Heinrich, wo hast dou dann noch so lange gesteckt?
    – Da Bergisch Gladbach … Ruhr … Thyssen … Wiederaufbau …
    Da fragten sie nicht mehr. Er
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