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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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den Hollen. Das haben sie immer zu mir gesagt: Ich fahre mit den Hollen. Ich fragte: Was sind denn die »Hollen«? Das konnte mir niemand sagen. Du träumst am helllichten Tag. Ich glaubte, dass es etwas Besonderes sei, wenn man mit den Hollen fahren kann, und dass die Hollen wie Wolken seien oder von Frau Holle geschickt. Als meine Mutter sagte, sie habe vom fliegenden Holländer geträumt und er sei auf die Wiese gefallen, gleich hinter dem Haus, da glaubte ich, die Hollen kommen vom fliegenden Holländer und ich kann mit ihm durch den Himmel segeln und vielleicht abstürzen, irgendwo an einem fernen Ort, oder verschwinden in den Wolken wie der Fliegende Robert, und wo der Wind ihn hingetragen, ja das weiß kein Mensch zu sagen.
    Ich fahre immer noch mit den Hollen, die Straßen verschwinden und die modernen Laternen, Häuser lösen sich auf, und der Dorfplatz bevölkert sich, und ich sehe die lustigen Leute in alten Klamotten, und auf einmal sehe ich Apollonia auf der Kirmes tanzen. Sie trägt ein dunkles Kleid mit besticktem Kragen und bezogenen Knöpfen und Biesen und einer Schleife im Rücken, sie tanzt einen Rheinländer, zwei links, zwei rechts, es ist strahlender Sonnenschein, die Musik spielt draußen, vor Honiels Wirtschaft, und alle trinken Bier, als müssten sie dem Honiels die Fässer schon leer trinken am helllichten Tag.
    Im Dorf stehen noch die alte Linde und das Backhaus und der Brunnen, die Kirche ist viel kleiner und hat keinen Steinboden, er ist nur festgetrampelt. Die Teerstraßen sind verschwunden, und ich sehe, die Wege sind aufgebrochen, und der Bach läuft wieder mitten durch das Dorf, und der Brunnen steht vor der Wirtschaft. Es riecht ganz anders, die Misthaufen verströmen einen ewigen warmen Geruch, und eine Brut von Fliegen tummelt sich darüber, ich höre die Bienen summen und die Hühner gackern, aber es ist auch ein beständiges Hämmern und Surren und Sägen über dem Dorf, und dann sehe ich ihn vor mir.
    Den Zimmerplatz. Es ist 1928, 1924, 1918.
    Die große Schneidmühle mit einer Dampfmaschine und einem Gatter und einem Fuhrwerk mit zwei prächtigen Gäulen und der Getreidemühle obendrein. Überall liegen die Bäume verstreut, überall, sie liegen von den Dreieichen bis unten zum Tröpfelborn, bis hinten zum Müllerkoll und bis zu den Berghecken vor dem Kappesgarten.
    Da sind der Dagobert, der Willi, der Balduin, der Konrad, der Ewald, der Hannes, und der Jüngste war Klemens, mein Großvater. Es sind die Söhne von Josef und Charlotte Heinzman, und sie schuften von früh bis spät in den Wäldern und auf dem Zimmerplatz und auf anderer Leute Dächer. Sie sägen und hobeln und hämmern, sie ziehen die Bäume mit den mächtigen Gäulen aus den Hecken.
    Der Zimmerplatz ist der mächtigste hölzerne Königshof in der Gemarkung, der in schmutzigen Schlammfeldern mit Donnergetöse residiert.
    Mein Großvater ist ein staubiger Prinz voller Sägemehl, und er flucht und sägt und liest manchmal heilige Bücher.
    So deutlich, wie ich all das sehe, so schnell verschwindet es wieder, und der Zimmerplatz wird kleiner, und die mächtigen Gebirge aus Bäumen sinken in sich zusammen, und da steht nur noch die Schneidmühle mit dem uralten Gatter, der Zimmerplatz ist nun überdacht. Aber noch immer sind Söhne der Zimmerleute dort, und noch immer sind sie so kräftig und lachen sie so laut und so gern wie mein Großvater Klemens. Sie winken und grüßen und wollen mich mit dem Gabelstapler überfahren. Sie sind Andergeschwisterkinder. Wir sind viele Andergeschwisterkinder in Scholmerbach. Man kann sie nicht mehr zählen und nicht mehr auseinanderhalten, man verzählt sich andauernd. Würden wir einen Stammbaum malen, so wäre er verzweigt wie einer der zahllosen Bäume, die wir zersägt haben und deren Äste im Feuer verbrannt sind. Also zählen wir uns nicht mehr und sind nur froh, dass im Herzen der Schneidmühle noch das alte große Gatter steht, mit seinen schrecklichen stählernen Sägezähnen. Von Zeit zu Zeit, da frisst und zerteilt es noch einen Baum und kracht und donnert und schnauft so wichtig, dass die ganze Schneidmühle leise zittert, das Gebälk und die Wände und die staubigen Scheiben, das ganze Sägewerk vibriert leise mit, und das Sägemehl legt sich tanzend in die Spinnweben
    Ich erinnere mich, wie ich früher einmal alles aufschreiben wollte, die Geschichten, die sie sich erzählten, über die drei Schwestern, Hanna, Klarissa und Apollonia. Sie waren so schön, da kamen die
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