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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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der hörte doch die Rheinländer, die Mazurka und die Waldblümlein-Walzer, so wie die schwindsüchtige Magda, die nicht mehr tanzen konnte, weil sie am Kirmesmontag sterben sollte, oder wie Urgroßonkel Berthold, der sterben sollte an den Bauchschüssen von der Schlacht bei Amiens, und der alte Balthese Simon, der in seinem unreinlichen Haus zuletzt mit Geschwüren übersät und von seinen Katzen zerkratzt sterben sollte am vergifteten Blut.
    Apollonia, Hanna und Klarissa aber standen an der Wirtshauswand und warteten auf die Freier, und Tante Hanna war lang und dürr und machte sich immer krumm, und Tante Klara hatte dünnes, futscheliges Haar, und meine Oma Apollonia machte ein Gesicht, als würde sie gleich erschossen.
    Mein Urgroßvater Gustav Dapprecht hatte ihnen streng verboten zu lachen, und die Einzige, die sich immer daran hielt, war meine Großmutter Apollonia.
    Nur die allerdümmsten Bauern müssten unentwegt tölpelhaft lachen, hatte mein Urgroßvater gesagt, und wer lache, sei einfach nur einfältig und blöde und habe keinen Respekt vor dem Herrgott. Sollte er die Töchter beim Lachen erwischen und bei mangelndem Ernst für ihr Tagwerk, dann konnten sie was erleben. Meine Großmutter vermied also nur, töricht zu erscheinen, und hielt daher den Kopf mit ihrem schweren Dotz streng und aufrecht, damit niemand dachte, sie sei die dümmste Gans von Scholmerbach.
    Die Freier aber kamen und holten meine Großmutter und ihre Schwestern zum Tanzen, bis sie keine Luft mehr hatten, und sie gaben ihnen Bier aus und gingen mit ihnen hinaus in die Sonne und setzten sich mit ihnen auf die Treppe, und es roch ordentlich herüber vom Plumpsklo hinter der Wirtschaft. Sie machten Späße, und es war den Schwestern schwer, den Ernst zu behalten, und es war ihnen wunders wie, dass man ihnen so den Hof machte. Und der eine kam von Linnen und der andere von Wennerode, der eine von Beilchen und der andere von Pfeifensterz, sie kamen von Hellersberg und von Ellingen und von Wällershofen, von Böllsbach, vom Jammertal und sogar noch von Langdehrenbach.
    Dann entschwand ich aus den Hollen und kehrte zurück auf mein rotes Schesselong mit meinem Buch in der Hand, in das ich nichts geschrieben hatte, außer was mit den Freiern und mit einem Säuschwanz. Ich konnte das auch getrost ein andermal machen, denn im Dorf läutete die Schelle, und wenn im Dorf die Schelle läutete, war ich auch schon hingelaufen.
    Ich war keineswegs wie meine Oma Apollonia, die sich immer rarmachen musste: Du musst dich rarmachen, Marie! Ich war überall, wo eine Büchse rappelte und wo was los war, denn ich wollte nichts verpassen, ich war ja nur einmal sechzehn, und wie konnte man daheim bleiben, wenn draußen der Wind die wilden Heublumen durch den Abend jagte und die Sommernacht zu blühen begann und alles so gut roch, dass es keinen Menschen mehr in seiner Bude hielt.
    Wie sollte es uns auch daheim halten, das ganze Dorf war unterwegs, der Kirmesbaum stand schon, wir wollten selber Kirmes feiern. Die Kirmes hörte nie auf in unserem Dorf; solange sich auf dem Kirchturm noch ein Wettergockel dreht, dreht sich bei uns auch ein Kirmeskarussell. Das hörte nie auf und durfte auch nie aufhören, sonst wären wir allesamt gestorben.
    Daher stürmte ich nun in unser rosa gekacheltes Bad und schloss mich ein für Stunden, um mich schön zu machen und in die engen Jeans zu zwängen und meine Wangen rot zu machen und meine Haare glänzend und duftendes Maiglöckchenparfüm aufzutragen in der Vorbereitung auf die Nacht aller Nächte in unserem Dorf. Ich hatte langes braunes Haar mit Mittelscheitel, so wie alle Mädchen in Scholmerbach in jenem Jahr, und wir hatten ein blaues Halstuch und ein rotes T-Shirt mit der blauen Aufschrift:
    – Scholmerbacher Kirmesjugend 1977 –
    – Hachenburger Pils –
    Es war Samstagabend, und als ich ging, rief ich meiner Oma zu:
    – Oma, ich trinke einen für dich mit!
    – Pass auf, Marie, sagte sie. Im Frühjahr werden die jungen Böcke wieder wild!
    – Es ist ja schon Sommer!, rief ich.
    – Dou musst dich rarmache!, rief Oma.
    – Jaja!, rief ich.
    Und dann war ich verschwunden.
    Die Bänder vom Kirmesbaum wehten bunt über den Himmel, das große Kirmeszelt war weit geöffnet, und Menschen strömten hinein, eine Losbude stand bereit, und ein Karussell mit Pferdchen und zwei Flugzeugen und einem Elefanten drehte sich, die Wurstbude hatte schon elf Currywürstchen verkauft, und der erste Besoffene hatte schon hinters
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