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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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sagte sie. Es dann die Kirmes gehalten?
    – Jou, sagte ich.
    – Und, sagte sie. Hat dann ordentlich die Musik gespillt, und hast dou dann ordentlich getanzt?
    – Mir ist schlecht.
    Oma lachte in sich hinein und machte den Tauchsieder an und sagte, dann wolle sie mir mal einen Bohnenkaffee kochen, der mache mich wieder munter.
    – Jo, das ist gut.
    – Das dauert jo ein Weilche, bis man die Kirmes aus de Knoche hat.
    Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Apollonia jemals getanzt und getrunken hatte bis zum Morgengrauen. Weil sie sich ja »rar« gemacht hat. Wäre mir nie passiert. Ich hatte einen solchen Durst, dass ich zur Spüle lief und Wasser aus dem Kran trank.
    – Jaja, sagte meine Oma. Das es der Nachdurst. Naja. Gesoffen wird immer. Hast dou dann aach en’ Kirmeskerl gehabt?
    – Ich?? Ach … ich … äh … Ach ich … nun ja … nur so …
    – Pass bloß auf und fall nicht rein auf de Erstbesten.
    – Nee, sagte ich.
    Meine Oma begann zerstreut nach dem Mehl zu suchen und drehte am Radioknopf zu den »fröhlichen Wellen« von Radio Luxembourg mit Camillo Felgen.
    Eine Weile blieb ich liegen und wartete, dass Oma das kochende Wasser auf das Kaffeepulver in der Kanne goss und der Kaffee sich setzte und ich ihn endlich trinken konnte. Derweil sah ich ihr zu, wie sie Kartoffelklöße machte und sich zwischendurch die roten, verschnittenen Hände an der Schürze sauber machte. Und lauschte in Gedanken dem Soldaten Jimmy nach und dem, was wir uns erzählt hatten, und ob er nur ein Kirmeskerl war oder nicht und ob wir uns wiedersehen würden, so wie er gesagt hatte. Oder hatte ich mir das alles nur eingebildet?
    Ich döste einfach noch ein wenig vor mich hin.
    In der Ecke vom Schesselong steckte noch mein Buch mit den Notizen vom Leben meiner Großmutter, und wenn ich hineinsah, tanzten die Zeilen auf und ab, und was ich geschrieben hatte, gab kein Bild, und die Jahre meiner Oma Apollonia schienen mir so unübersichtlich, dass sie auseinandersprangen wie ihr Schürzenbändel, wenn an der Hüfte der Knopf abging.
    Apollonia Heinzmann, geborene Dapprechter in Scholmerbach an der Sumpfwiese im Jahre 1902. In 1902 fuhr zum ersten Mal die Transsibirische Eisenbahn, und sie entdeckten die Stratosphäre, sie hatten gerade erst den Nobelpreis erfunden, und dann kriegte ihn der Entdecker der Röntgenstrahlen, die Suffragetten waren unterwegs, Australien schloss sich zusammen, und Heinz Rühmann wurde in Essen geboren. Kaiser Wilhelm der Zweite regierte in Berlin und hatte zur Gemahlin die Kaiserin Auguste-Viktoria und mit ihr sieben Prinzen und Prinzessinnen.
    Das hatte ich im Bertelsmann-Lexikon gelesen.
    Ansonsten wusste ich mit meinen sechzehn Jahren wenig von meiner Großmutter zur Kaiserzeit, außer dass auf dem mit Blumen und Fahnen geschmückten Dorfplatz zu des Kaisers Geburtstag Böllerschüsse abgefeuert wurden. Ich wusste nur, wie sehr meine Großmutter um Kaiser Wilhelm  I. getrauert hat, als er fortgejagt wurde und mit ihm die Kaiserfamilie mit ihren schönen weißen Kleidern, den Schirmen, den Kutschen, den Hochzeiten und Geburten und Todesfällen.
    Aber der Kaiser war sehr weit fort vom Westerwald, sehr, sehr weit fort vom Westerwald und seinen Lehmfachwerkhäusern mit den kleinen Fenstern, in die so wenig Licht hineinfiel, dafür aber der Wind pfiff, und wo im Winter die Wände gefroren. Als meine Großmutter klein war, brannte noch kein elektrisches Licht, und das Petroleumauto kam wöchentlich einmal ins Dorf, es floss kein Wasser, sondern die Leute holten es aus dem Brunnen für das Vieh und für den Menschen. Überall roch es nach den warmen Kühen und nach dem Mist in den Ställen, und in den Häusern roch es nach gebratener Blutwurst und Kappes und gekochter Wäsche und Feuer. Die Fliegen brummten um das Vieh und um das faule Obst und über den Misthaufen im Hof, und die Leute wuschen sich am Sonnabend im Holzzuber. Ab und an. Es war ja schwer, genug Wasser warm zu kriegen, um eine Wanne zu füllen. Gott, haben sie gesagt, das Vieh hat ja alles Wasser gesoffen, und sie wuschen sich bloß ein wenig mit Kernseife in der Schüssel, sie wuschen den Kopf in der Schüssel und die Füße im Bach. Ob auf dem Zimmerplatz oder in den Häusern oder der Scheune oder draußen auf dem Feld, wahrscheinlich rochen die Leute alle gleich und wahrscheinlich alle ein wenig wie das Vieh im Stall. Da aber der frische Wind die Düfte von den Fichten und den Buchen und den Weidehecken durch das Dorf und durch
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