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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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ihr ja nicht so auf. Charlotte und Josef Heinzmann waren die Besitzer vom Sägewerk und sie hatten elf Kinder, und von den elf Kindern überlebten Dagobert, Balduin, Ewald, Hannes, Rosalia, Hedwig, Traudel, Klemens, Grete und Konrad bis zum Krieg, und vorher waren ihnen schon drei Kinder gestorben. Also vor Balduin, Ewald, Hannes, Hedwig, Traudel, Emma, Rosalia, Dagobert, Konrad und Klemens hat es noch mehr Kinder gegeben, die gestorben sind, also waren es dann doch eher dreizehn gewesen oder auch vierzehn. Man verzählt sich immer. Man müsste jetzt noch mal auf den Kirchhof gehen und die Grabsteine angucken, aber in Wahrheit haben wir sie schon immer durcheinandergeworfen.
    Bloß die emsige Charlotte und der fromme Josef wussten, wie viele Kinder sie gezeugt und geboren hatten und wie viele davon gestorben waren. Josef sagte nicht viel, er betete und arbeitete, betete und arbeitete, tags die Säge, nachts der Rosenkranz, tags der Bohrer, nachts der Rosenkranz, tags der Hammer, nachts der Rosenkranz. Beide arbeiteten ganze Nächte durch, sagte Großtante Hedwig, immer, ganze Nächte, denn sie hatten ja Vieh, sie hatten Felder, sie hatten Getreidemühlen. Am Tag das Geschäft, in der Nacht das Brotbacken, am Tag der Zimmerplatz, in der Nacht das Sauerkraut schneiden, am Tag ernten, in der Nacht die Wäsche plätten, so haben sie es gemacht im alten Jahrhundert und noch das Jahrhundert davor.
    Die Schneidmühle schnitt und lärmte durch das Dorf, im Frühjahr, im Sommer und im Herbst. Im Winter aber legte sie sich zur Ruhe wie ein gewaltiges, müdes, eisernes Tier.
    Man hörte die Stille, man hörte aber auch ein wenig Gefluche, denn mit dem Fluchen konnten sie nicht einfach aufhören, bloß weil die Sägen stillstanden, und die Äxte und die Hämmer schwiegen. Das Mundwerk der Zimmerleute stand niemals still in diesem Dorf, dazu waren sie einfach zu viele; sie waren es gewöhnt, irgendeinen Laut von sich zu geben, mit dem Fuhrwerk, mit der Dampfmaschine, mit dem Horizontalgatter, es brach durch das Dampfen und Zischen und Pferdegetrampel ein mörderisches Gelächter, es tobte durch Sägeblätter und die Schleifmaschine, sie konnten nicht aufhören zu lachen, im Sommer nicht und im Winter auch nicht.
    Die Lungen der Zimmerleute sind kräftig. Ihre Stimmen in ewiger Konkurrenz mit dem Rauschen der Wälder und dem gewittergleichen Donnern der rollenden Bäume des Westerwaldes.
    So eine Stimme hatte mein Großvater Klemens, und er hatte strahlende Laune und sang herrlich und trank Schnaps, und im ganzen Dorf konnte man hören, wie er oben im Wald stand und das »Ännchen von Tharau« sang; da sind die Vögel vom Firmament gefallen.
    Meine Großmutter Apollonia hat es beim Sensen gehört. Es war wie der Lockruf des Waldes. Er sang das Lied von der schönen Loreley. Und er sang: »Rosemarie, Rosemarie, sieben Jahre mein Herz nach dir schrie«.
    All das hat Apollonia so nicht gekannt.
    Im Hause des Dapprechter Gustav hat man nicht gesungen. Nicht gesoffen. Nicht gelacht. Es war ihr sehr schön vorgekommen, wie mein Großvater Klemens gesungen hatte, und eine Weile hatte sie ihm gelauscht.
    Aber er war ja nur einer von den Zimmerleuten, an denen sie schon hundertmal mit den Kühen vorbeigezogen war, während sie Freier haben konnte von nah und fern, von Hellersberg und Böllsbach und Pfeifensterz! Nein, da wollte sie lieber warten auf die nächste Kirmes, wenn sie beim Honiels tanzte … und dastand an der Wirtshauswand. Da wollte sie sich gut überlegen, wen sie sich erwählen sollte, denn trau, schau wem und prüfe, wer sich ewig bindet. Hanna, Klarissa und Apollonia aber wählten und wählten und wählten, sie wählten und wählten und wählten.
    Die Leute aber sagten: Ihr kriegt am Ende nur noch den Säuschwanz.
    Jim David Logan war ein amerikanischer Soldat. Ich sollte nichts mit Soldaten anfangen, weil sie immer nur das Eine wollten oder weil sie einen mit nach Amerika verschleppten oder einem das Herz brachen und einen sitzen ließen. Oder weil man ruckzuck ein Flittchen war wie Lydia Kosslowski.
    Leider aber waren die amerikanischen Soldaten überall, denn sie bewachten uns vor den Russen, und mein Großonkel Balduin glaubte noch lange Zeit bei jedem schweren Gewitter, dass die Russen kämen, und wollte die Flinte holen. Da malten wir schon lange Blumen an die Wände und in die Schulmäppchen und kritzelten: »Make peace not war« auf die Bänke.
    Der letzte Krieg, der hier stattgefunden hatte, den hatten die
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