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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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Deutschen ja selber angefangen, und seitdem waren die Amerikaner da und wohnten auf der Struderlehe, verborgen hinter Dornschlehen, Wacholder und Himbeersträuchern, und hätte man nicht ihren Turm hoch oben aus dem Westerwald ragen sehen mit dem Wachmann darauf und seinem Fernglas, der den Horizont nach Russen absuchte, dann hätten wir sie schon lange nicht mehr bemerkt, und sie wären mitsamt ihren verkleideten Panzern und verborgenen Geschützen und jener heimlichen Rakete im irdischen Leib in der Landschaft versunken wie ein schweres, bewaffnetes Dornröschen in seinen hundertjährigen Schlaf.
    Mein Großvater Klemens hatte die Amerikaner immer gern. Meine Mutter sagte, er war ihnen im Krieg freudestrahlend entgegengelaufen und hatte sich ihnen mir nichts, dir nichts ergeben und war lustig in die Kriegsgefangenschaft gefahren und wollte von da auch gar nicht mehr heimkommen. Ich konnte es ebenso machen wie er und zumindest mal versuchen, was es mit diesem Volk auf sich hatte, und mit einem von ihnen tanzen, mehr als nur eine Sommernacht lang, wenn man schon so trunken war, dass die Sterne vom Firmament fielen, und man nicht mehr wusste, wie der eigene Name geschrieben wurde, sodass der Bierdeckel, den ich ihm mitgegeben hatte, unleserlich war und ich wirklich nicht wusste, ob er nun zu unserer Verabredung am Mittwoch kommen würde.
    Wir hatten nämlich beim Polters oben im Dorf immer Disko. Drinnen drehte sich die Diskokugel und warf Tausende von Lichtern, und Weihers Manni legte Platten auf und war der Diskjockey, die Tanzfläche war von unten her rot und blau und grün beleuchtet, und an der Theke tranken sie Asbach-Cola, Bier und Persico. Ich hatte Jimmy gesagt, dass ich da immer hingehe, und auch heute war ich da mit Bea und Brigitt und Stefanie. Ich hatte meine neue Bluse angezogen, die mit den bunten Bändern im Rücken und dem bestickten Ausschnitt, und meine Haare dufteten nach Apfelblüten, und meine Wangen hatte ich mit Rosenpuder aus dem Kaufhaus Schwenn bestäubt. Bea sagte, mein Gesicht gleiche einer überreifen Tomate, und dieser Ami würde gleich merken, dass ich verknallt wäre bis über beide Ohren, und dann sei die Angelegenheit gleich uninteressant für ihn. Das stimmte natürlich, ich musste ihr recht geben und verstellte mich und tanzte auf Santa Esmeralda: »Please don’t let me be misunderstood«.
    Jim kam um halb neun mit einem Pulk von anderen Amerikanern, und sie standen in der Tür, als wagten sie sich nicht herein, und es musste schwer sein, wenn man aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten kam und dann in Scholmerbach in einer Dorfdisko endete.
    Doch als sie die Mädchen von Scholmerbach sahen, fassten sie Vertrauen und glaubten, so schlimm könne das Ende der Welt nicht sein, und allem Ende wohne ein Anfang inne, und das Ende und der Ursprung seien die gleiche Quelle.
    Jim löste sich von der Wand, und aus dem Schatten wurde eine feste Gestalt, und er blies sich die Ponyhaare aus dem linken Auge und schob lässig die Daumen in den Bund seiner Jeans und kam mit schiefgelegtem Kopf auf mich zu.
    – Hey … Marree … glad you came.
    Ich vergaß zu tanzen, ich vergaß, dass ich aufhören sollte zu leuchten. Er warf seine Jeansjacke über den Stuhl und tanzte den Rest des Liedes einfach mit, Oh Lord, please don’t let me be misunderstood.
    In Scholmerbach wussten sie gleich Bescheid. Schon am ersten Abend.
    Marie hat sich was angefangen. Einer von der Struderlehe. Ein Ami. Alle haben es gesehen. Wir haben gar nichts gemacht. Gar nichts. Nur getanzt und Cola getrunken und Asco und ich noch ein Pfläumchen. Aber Jim konnte gut tanzen, also … ziemlich gestampft hat er. Westernstiefel im Frühsommer. Aber knackig. Wie ein Cowboy. Anders als wir, aber vielleicht auch genauso. Vielleicht tanzte er ja auch richtiger als wir, weil er ja aus Amerika kam.
    At the carwash. Oh Black Betty. Hotel California. Wenn er bei »Satisfaction« den rechten Arm in die Höhe riss, dann rutschte sein weißes T-Shirt hoch und sein blanker Bauch kam heraus, und ich konnte sehen, dass er durchtrainiert war, vielleicht vom Gewehre schleppen und vom Robben durch meine Heimaterde, weil er uns schützen wollte vor den Russen. Ich betrachtete seine schönen braunen Augen, wie sie blitzten, wenn er die Lieder mitsang, er konnte sie ja viel besser mitsingen als wir, und wenn »get no« kam, dann schloss er die Augen, und bei »Satisfaction« öffnete er sie wieder. Auf seinen Oberlippen war ein leichter
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