Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
Vom Netzwerk:
Flaum, ein kaum wahrnehmbarer Jungenbart, den es sich nicht lohnte zu rasieren, dabei war er schon einundzwanzig, so alt. Nach wenigen Liedern war sein T-Shirt nass, und seine Begeisterung hatte nicht aufgehört, sein Pony flog ihm immer wieder ins linke Auge, und einmal wagte ich, ihm die Haare aus dem Auge zu streichen. Da waren wir aber schon bei »Nights in White Satin«. Klammerblues.
    Die bunte Tanzfläche leuchtete rosa und himmelbau von unten, und wir konnten nicht verbergen, wie es um uns stand.
    Die Fußballer hatten es gesehen und die von der Feuerwehr auch und meine Andergeschwister vom Zimmerplatz auch. Es ist besser, flüsterte ich.
    – It is better … next time … we sehen uns … im Wald … or treffen uns in the Hecken … or … under the Hecken down am Bach …
    Jim nickte und verstand mich ganz genau, in Englisch und in Deutsch und auch, wenn ich gar nichts sagte, so riet er doch meine Gedanken und wusste genau, was ich meinte, und so musste ich auch gar nichts mehr sagen, und es war klar, dass er mich wenige Tage später von der Schule abholen sollte.
    Ich hatte ein Geheimnis, das vor mir schon ganz Scholmerbach kannte.
    Im Juli bekam meine Großmutter Apollonia Leibschmerzen.
    Sie legte sich auf das rote Schesselong unter den Wandbehang mit der Mühle am Bach und hielt sich den Bauch und krümmte sich elendiglich.
    Ihr rosa Helancapulli kam aus der Kittelschürze hervor, und darunter hatte sie nur ihren cremefarbenen Unterrock, und der Schmerz in ihrem Leib mischte sich mit der Angst, ein Doktor müsse kommen und sie sei nicht angezogen fürs Krankenhaus und sie habe kein Nachthemd fürs Krankenhaus und was war jetzt schlimmer.
    Es war ja nur der Dr. Samstag zu erreichen und beim Dr. Samstag wusste man nicht so genau, er war im Krieg Doktor geworden und hatte schon mal eine Schwangerschaft mit einem Blinddarm verwechselt, und Oma nannte ihn einen hergelaufenen Kurpfuscher, aber das nützte ja jetzt nichts. Einer musste kommen und helfen, und es war nicht mit anzusehen, und plötzlich merkten wir, wie es ernst wurde, denn Oma Apollonia riss die Augen auf und greinte und schrie.
    Es hat ihr buchstäblich den Leib zerrissen.
    Da sagte sie: – Eysch will doch noch nicht sterwen.
    Ich glaubte, nicht recht zu hören.
    Sie hatte immer gesagt:
    – Ach, läge man doch bloß schon auf dem Kirchhof!
    Nun, wo es womöglich so weit sein sollte, da war es ihr nicht ernst.
    Aber sie konnte nicht mehr zurück. Dr. Samstag hatte ihr befohlen, ins Krankenhaus zu gehen, man würde kommen, um sie abzuholen, auch wenn sie kein gescheites Nachthemd hatte, auch wenn sie keine neuen Schlappen hatte und keinen Morgenmantel, keinen Kulturbeutel und keine neuen Unterhosen.
    Man würde sie untersuchen müssen da untenherum. Alles, was sich ihrem Leib näherte, war Apollonia in tiefer Seele verhasst. Jeder Doktor, jede Schwester würde sich in Acht nehmen müssen, jeder, der ihr helfen wollte, hatte einen schweren Stand. Aber was wollte sie machen?
    Es war das Gedärm, und schuld war wie immer mein Großvater Klemens, Klemens hatte ihr den Leib ruiniert, noch Jahre nach seinem Tode, denn wegen Klemens war alles Leben in Apollonia in Stockung geraten, wegen ihm hat sie sich nie … ausbreiten können … Sie hat sich nie ausbreiten können wie sie wollte in der kleinen Toilette mit Blick auf den Hof, denn in diesem kleinen, grau gewalzten Räumchen mit Wasserklosett saß mein Großvater stundenlang und rauchte Reval. Mein Bruder sagte, das Klo sei dem Großvater sein Wohnzimmer. Er las dort Zeitung und rauchte und blieb gemütlich hocken, und somit hatte Apollonia zeit ihres Lebens keine Lust, diesen Raum zu betreten und überhaupt etwas von sich zu geben. Ihr Leib wurde härter und härter und sie zerritzte sich von innen die zarten Häute der Darmwände, deren Inhalt in ihr stak wie festgemauert in der Erden, aus Widerwillen gegen Großvaters Wohnzimmer voller Zeitungsrascheln und Revalrauch. Wenn draußen die Leute vorbeigingen, dachten sie, es brennt, aber wir sagten, es ist nur der Opa auf dem Klo.
    Meiner Großmutter aber hat es den Leib zerrissen, und sie haben sie fortgetragen in den Krankenwagen mit einer Tasche, die war nicht recht gepackt, und man musste erst noch zu C&A fahren nach Koblenz und ihr alles bringen. Als der Vater endlich da war mit dem Auto und sie im Krankenhaus waren, da wusste Apollonia schon, dass sie umkommen würde, noch diesen Sommer.
    Ich hatte also mein Buch vollzuschreiben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher