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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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vom vergehenden Leben Apollonias und von dem, was ihr geschehen war, und ich wartete gequält auf Nachrichten aus dem Krankenhaus, aber ich konnte auch nicht aufhören, den Namen von Jim überall hin zu ritzen und ein Lied vor mich hinzusingen, so leise, wie es nur irgend ging, love, love me do, I know, I love you, so please, love me too, I love, love me do … Mir war ganz gleich, welches Lied es war und wie alt und von wem, wenn nur das Wort love drin vorkam und ich es singen konnte ununterbrochen. I love to love – I love the way you love me – we love to love …
    Love forever, true. Ich war nämlich in Jim Larry David Logan verliebt und konnte nicht aufhören, an ihn zu denken, und ein Gefühl wie süßer Sirup durchdrang nun alles, was ich tat, und alles, was ich wollte, und alles, was ich begann.
    Nun war aber der Tag, an dem meine Oma operiert wurde und meine Eltern ins Krankenhaus fuhren, auch der, an dem Jim mich von der Schule abholen wollte und wir hinauswollten zum dicken Baum oder zu den Weidehecken oder zur Bachbiegung von der Scholm, und ich geriet in Gewissensnöte.
    Doch was scherte es den Kuckuck auf dem Baum oder die Ameise auf ihrem Haufen, ob ich nun voll Kummer und Sorge zu Hause herumsaß oder mit Jim durch das Haselbacher Feld lief und durch den Kappesgarten und ihm dann in der alten Grube den Silbersee zeigte. Davon ging es Oma auch nicht schlechter. Und so erzählte ich Jim, wie viele sich schon in den Silbersee gestürzt hatten und wie viel Unglücke es im alten Bergwerk gegeben hatte, das weiß niemand mehr, aber im Haselbacher Feld gab es ein Haus voller Witwen. Alle vergessen alles mit der Zeit, und dann wachsen die Dornenhecken darüber. Bei uns wachsen viele Dornschlehen, und ihre Beeren sind blau und bitter.
    – Wi have much … Dornschlehen here … they make … autsch!
    Ich nahm eine von den langen Fangarmen der Dornschlehen und piekte Jim in den Finger. Das nahm Jim als Aufforderung, mich zu küssen, und wir fielen gegen den felsigen Stein der alten Grube, und ich stieß mir den Kopf, aber es tat gar nicht weh, und ich schmeckte Amerika, und es war so aufregend, als sei George Washington persönlich zum Silbersee geritten, und sein Eroberungszug war rauschhaft und schmeckte köstlich, und der Wilde Westen und der Westerwald feierten ein herrliches Fest im Walde.
    – Where are your from … From where in Minnesota?
    – Minnesota … from landscape … little city … called Newtown.
    – What …
    – What?
    – Bei uns heißt What auch wott. What – wott.
    Wir legten uns bäuchlings auf den Felsenrand und versuchten in der Tiefe Skelette von Selbstmördern zu sehen, aber es ging dreißig Meter hinunter und im allerdunkelsten Grün konnten wir nichts erkennen.
    – Oh, yeah? You say wott?
    – This is … Dialekt. And we say Rrrrrrrrrrrr like Italian or English people. All people machen sich immer lustig.
    – What?
    Jim schien nicht zu verstehen. Ich wollte ihm sagen, dass die Kölner und ganz Deutschland unseren Dialekt immer verspotteten. Wir kamen gleich nach den Sachsen, und dann gab es nicht mehr viel. Wir rollten das R.
    – Sag du nock einmal Rrrrrrr.
    Ich wiederholte:
    – Rrrrrrrrrrrr.
    Jim drehte den Blick zum blauen Himmel und verstand immer noch nicht und sagte selber:
    – Rrrrrrrrrrr.
    Er konnte nicht verstehen, was an dem R nicht stimmen sollte, er hörte es einfach nicht, er begriff es nicht, er fand alles, was ich sagte, makellos und wunderschön. Je mehr ich ihm den Unterschied zwischen Hochdeutsch und unserem Platt vorsprach, umso mehr schien dieser sich in Luft aufzulösen, und auf einmal hörte ich ihn selber nicht mehr. Zum ersten Mal fühlte ich mich wirklich getröstet und verstanden.
    – Fuck Cologne, sagte Jim, und ich war ihm zutiefst dankbar und sagte auch: Fuck Cologne, aber erst recht auch noch Düsseldorf oder erst Hamburg!!!
    – Fuck Hamburg!!!
    Wir sagten ja auch »it« statt »es« und »he« statt »er«, und so suchten wir am Silbersee nach Worten, die uns verbanden, und wenn uns die Worte schwer über die Lippen gingen, so suchten unsere Lippen sich gegenseitig zu helfen, und meinen Lippen wurden die Worte dann leichter. Und hatte man meinen Mund bisher gescholten, weil er die Worte immer nicht schön gesprochen hatte, so konnte ich jetzt ganz leicht sagen: Fuck Cologne.
    Jetzt wurde ich von einem geküsst, dessen Mund die Worte ähnlich sprach und der mich erlöste, der kam aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten,
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