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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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so außerordentlich gut und großmächtig und selig, und auch meinem Großvater gefiel es so gut. In Scholmerbach wussten sie, wie man feiert, das haben alle immer schon gewusst, auch in den anderen Dörfern. Nur wussten sie woanders auch, wann man aufhört, und da haben sie in meinem Dorf nicht immer die Kurve gekriegt und in der Waldeslust schon gar nicht.
    Wenn sie dann am Montag aus den Federn krochen und herausgeschmissen wurden von ihren Alten und waren noch ganz krank und verquollen und hatten einen fürchterlichen Nachdurst, dann mussten sie erst mal zum Theo gehen. Der kochte ihnen einen Kaffee oder briet ihnen ein Ei oder gab ihnen Wasser oder Bier. Das half, wenn man gelumpt hatte. Manche sagten, dass ein Schnaps ihnen am besten half, und darum war ein Lumpenschnaps das Beste, und mit der Zeit erfand Theo immer bessere Schnäpse und tat eine Kaffeebohne hinein oder ordentlich Kümmel oder Pfeffer, weil er sehen wollte, was seinen Gästen am meisten half. Dieses Mitgefühl und der Heilschnaps verfehlten ihre Wirkung nicht, und alsbald hellte sich die Stimmung der kranken Waldeslustbesucher auf, und sie wurden wieder genauso lustig wie am Sonntagabend, und wer sich glücklich fühlt, hat immer recht. Mochten die anderen draußen stehen und schimpfen und sich aufregen, dann tranken die Lumpen erst recht. Zu ihnen gehörten der Jule und der Baltus und der Kriegsveteran Wilhelm und Franz-Josef und irgendwann einmal, man sollte es nicht glauben, wurde auch mein Großvater Klemens dort gesehen. Weil es aber so prächtig zuging, wurden sie auch in anderen Dörfern darauf aufmerksam, dass montags in Scholmerbach immer was los war.
    Nun hatte jedes Dorf rundherum immer einen oder zwei von der Sorte, die der Herrgott morgens nicht geweckt hat oder die sich, wenn es um das Arbeiten ging, nicht recht angesprochen fühlten und die Kurve zum Werktag nicht gekriegt hatten, diejenigen, die also von Hause aus ein wenig Krempelage hatten und sich verscholten und in ihrer Gemütslage unverstanden fühlten. Die zog es dann mit Macht nach Scholmerbach, wo man morgens schon diesen tröstlichen Lumpenschnaps bekam. Da kamen sie von Hellersberg und Ellingen und Pfeifensterz und Wennerode und Böllsbach und Linnen und feierten, und es war so herrlich und bunt, dass sie den Montag zum Feiertag ernannten, und sie nannten ihn fortan den Lumpenball.
    Meine Großmutter aber hatte ihre Zweifel, ob sich das Lachen für sie rentierte.
    Wenn mein Großvater nämlich genug gefeiert hatte in Honiels und beim Theo, dann musste er auf dem Zimmerplatz nach dem Rechten sehen. Er wollte seiner alten Mutter ein wenig zur Hand gehen und die Dampfmaschine ordentlich in Flammen sehen und den Heizkessel untersuchen und den Treibriemen schmieren und die Sägeblätter am Gatter neu einstellen und hören, wie es gegangen war in all den Jahren.
    Und er wollte sich beim Herrgott bedanken, weil es ihm gut ergangen war während der Kriegsjahre und weil ihm und Apollonia und Marianne kein Leid geschehen war und sie einen Gaul bekommen hatten. Zum Dank wollte er nun Küster werden und an jedem Sonntag in der Kirche helfen und die Orgel spielen, auch wenn er keine Noten konnte und sich die Lieder einfach erfand.
    Je mehr Apollonia erniedrigend lachte und sich aufführte und mit zusammengebissenen Zähnen die Kochtöpfe und die Waschbütten herumschleppte, umso weniger half ihr das. Klemens hatte sich nämlich um keinen Strich verbessert und lief genauso fort wie eh und je, und die Scheune war in einer Unordnung, dass man auf Schritt und Tritt über Holzbütten und alte Säcke und die rostige Egge und den alten Dreschflegel stolperte. Er hat das Vieh nicht gefüttert und den Stall nicht sauber gemacht und den Mist nicht hinausgeräumt. Nein, er ging am Morgen lustig auf den Zimmerplatz, und den Rest überließ er meiner Großmutter Apollonia, und es dauerte nicht lange, da wollte sie ihn lieber wieder verkloppen, als dass sie um seinetwillen Fratzen schnitt, die ihr ja doch nicht standen und die man lieber den Affen überließ.
    Dafür aber wurde ihr anderorts ein Wunsch erfüllt, und das kam einem Wunder gleich.
    Es sollte nämlich plötzlich luftig werden im Haus. Den Bombenopfern von Frankfurt und Köln und dem Ruhrpott hatte man Behelfsheime gebaut und notdürftige Unterkünfte in ihren Städten, und vier Jahre nach Kriegsende konnten allmählich alle wieder zurückkehren dahin, wo sie hergekommen waren, und Wilhelmine Wratzlaff und Luise Auguste Nowak
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