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Apollonia

Apollonia

Titel: Apollonia
Autoren: Annegret Held
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auseinanderhalten … und die Preise, … ein Bier kostet … dreißich Fennich.
    – Für deych kostet heut garnix, sagte Theo. Wer so lang in Amerika war, der braucht nix zu bezahlen.
    Da lachten die anderen, denn bei ihnen hatte er es genauso gemacht, bei Wilhelm, der aus Afrika heimgekommen war, und bei Franz-Josef, der mit einem Auge aus der Normandie gekommen war, und bei Jule, der den Balkan überlebt hatte und nun ein wenig hinkte. Und sie mussten ihre glückliche Heimkehr erst einmal feiern und sich betrinken und dass sie noch lebten und wieder daheim waren in ihrem seligen Scholmerbach, denn in der Heimat ist es doch am allerschönsten, ja in der Heimat! Wo aber Kurt geblieben war, schien ihnen ein Rätsel, und dass er in die Welt wollte, davon hatte er immer geredet.
    Er wollte ferne Länder sehen, Afrika, Indien, Neuseeland, eine Reise machen, auf ein Schiff und auf und davon, Alaska, die Fidschi-Inseln, ums Kap Horn segeln. Etwas musste er zusammengekratzt haben in der Zeit, als er sie alle bedient hatte, im Separee, diejenigen, die ihn ins Zuchthaus gebracht hatten, und von dem Geld wollte er fort aus Deutschland und andere Menschen sehen und andere Völker und mit ihnen leben und sie studieren. Der Kurt war ein Weltenmensch.
    Als Kurt sich in Südwestafrika oder Hamburg oder gottweißwo herumtrieb, da fläzten sich die Kriegsversehrten und die Heimkehrer und die Scholmerbacher, die so sehr gelitten hatten, saufend und feiernd auf den feinen Stühlen herum, bis das Separee alsbald zusammenbrach und man die geschnitzten Trennwände irgendwann herausriss und im Ofen verfeuerte. Ohne diese lästigen Trennwände, die das Gemeinschaftsgefühl des Dorfes erheblich störten, ließ es sich viel besser feiern und tanzen, und man brachte auch viel mehr Leute unter, was dem Theo prächtig gefiel.
    So war in der Waldeslust viel Leben, und man konnte von Lust sagen, oben unterm Wald, denn wenn es Nacht wurde, dann hörte man es tosen und toben und singen, und man wusste nicht, wo mehr gefeiert und gesungen wurde, ob bei Honiels oder in der Waldeslust. Alle waren sie das Elend und den Hunger und die Trauer leid, und wer kein Geld hatte, den schickte der Theo doch nicht heim, dem schenkte er einen aus und das sprach sich herum. Schließlich kamen auch welche aus anderen Dörfern in die Waldeslust, von Linnen oder Hellersberge oder Ellingen, Theo machte ihnen einen Deckel, den stopfte er in einen Ritz zwischen Thekenbalken und Decke und dort wurde er brüchig und zerfiel im Laufe der Zeit.
    So war die Waldeslust die tröstliche Zuflucht all derer, denen das Schicksal übel mitgespielt hatte und die nichts zu reißen und zu beißen hatten, aber dennoch viel Durst. Der Theo hatte immer eine offene Tür und einen fließenden Zapfhahn für sie. Mancher kam schon am Tage, wenn alle anderen doch arbeiteten, auf dem Feld oder in den Fabriken ringsumher. Wer aber tagsüber schon in die Wirtschaft ging für einen Schnaps, von dem musste man annehmen, dass er ihn brauchte. Wenn er ihn aber brauchte und nicht mehr davon lassen konnte und allmählich ganz verlotterte in seinen alten Klamotten und stank wie einstmals der Balthus, wer auf die Straße rotzte und den ganzen Weg von einer Straßenseite zur anderen brauchte, der wurde allmählich ein Lump. Wenn er dann noch mehr trank und immer mehr trank, bis man ihn heimschleifen musste, dann wurde er zum Lumpenhund.
    Nun saßen in der Waldeslust bereits drei Lumpen und zwei Lumpenhunde und wer noch keiner war, konnte in der Waldeslust bald zu einem werden. Wie sie so heimelig beisammen waren und sich bei Theo zu Hause fühlten, konnten sie sich ordentlich volllaufen lassen, ohne dass einer sauertöpfisch dreinschaute oder Moral predigte oder einem den Schnaps aus der Hand riss. Nein, hier war man Mensch und war gelitten und unter sich, und die Lumpen kamen richtig in Fahrt! Dort gab es auch einen Musikautomaten, und Theo warf den Riemen auf die Orgel, und die spielte den »Radetzkymarsch« und »Warum ist es am Rhein so schön« und »Wer soll das bezahlen?«. Und Theo kam kaum hinterher mit Bierzapfen. Man musste den lieben Gott einen guten Mann sein lassen und fröhlich sein und lustig, und wenn jemand zum Fenster hereinsah und das nicht mochte, dann war der selber schuld. Narren und Betrunkene sagten die Wahrheit, und die Wahrheit war, dass es ihnen prächtig gefiel, wenn sie beisammen waren und tanzten wie der Lump am Stecken. Wer wollte ihnen das verwehren? Man fühlte sich
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